Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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WEISSWESTCHEN UND HOSENVOLL
(Ein Stasimärchen)

Es waren einmal zwei Kinder.
Das eine war ein Sonntagskind.
Das andere war ein Werktagskind.
Ersteres lebte im Westen, letzteres im Osten.
Und weil die Mutter des Werktagskindes
– von wegen der Emanzipation – immer auf Arbeit war,
hatte das Kind den ganzen Tag lang volle Hosen
und ward bald nur noch Hosenvoll genannt.

Das Sonntagskind aber wurde jeden Tag gepampert
und sonntags extra belüftet,
so dass es immer verwöhnt roch
und Weißwestchen hieß.

Jeden Tag, wenn Hosenvolls Mutter von der Arbeit kam,
war ihr wieder eine Wange eingefallen.
Und ihr Auge war so trüb,
dass sie kaum den blauen Lada sah,
der jahraus, jahrein vor ihrer Tür stand
und alles beobachtetetete.

Als Hosenvoll groß genug war,
um sich mit seinem roten Arschtaschenkamm
im Rückspiegel die Haare zu scheiteln,
erhielt er eine Fahrerlaubnis und wurde
zur Sicherung der Transitstrecken eingeteilt.
Er sicherte zwischen Dabergotz und Herzsprung, wo
– wie unser Märchen es will –
jeden Tag Weißwestchen in einer großen weißen Blechlawine
mit Blinkerlämpchen an der Kofferklappe vorbeisauste
nach Hamburg zu dunklen Geschäften.
Hosenvoll sollte sich an ihre Schmutzlappen heften
und ihr so ein Gefühl von Sicherheit geben.
Und wie er sie so jeden Tag umsicherte,
begann er von ihr zu träumen:
Sie kommt herangebraust,
bremst klötzern,
lächelt lüstern,
öffnet Knopf für Knöpfchen
ihr weißes Westchen,
eins – zwei – drei – vier – fünf –
und beim sechsten fällt ihm ein Auge heraus,
und er sieht nichts mehr.

So konnte seine Liebe zu ihr den Hass
auf den Klassenfeind freilich nicht besiegen!

Eines Tages kurz vor Dienstschluss
kommt sie wieder herangebraust.
Noch ehe Hosenvoll seinen Arschtaschenkamm zücken kann,
bremst sie rasant,
und ein fettes Westpaket klatscht auf seine Kühlerhaube.
Sie winkt lässig und gibt Gas.
Vor Entsetzen starr hält sein Herz im Klopfen inne.
Schweiß tritt zwischen den Zehen aus:
EINE BOMBE!!
Er weiß, was zu tun ist:
ENTSCHÄRFEN!!!
Ergreift sein stumpfes Entschärfermesser
und reißt beherzt die Verpackung auf.
Doch wie ist sein Erstaunen groß,
als ihm 36 Fünf-Minuten-Terrinen entgegenpurzeln!
Spontan erkennt er:
Dies ist keine Bombe!
Dies ist ein Zeichen!
Das lang ersehnte Zeichen von ihr!

Da er im Fach Dechiffrieren eine Eins gehabt hatte,
entging ihm nicht, dass 36 Fünf-Minuten-Terrinen
genau drei Stunden ergaben.
Das also wollte sie ihm sagen!

Die drei Stunden vergingen wie im Fluge,
indem er nämlich hintereinander
alle 36 Fünf-Minuten-Terrinen auslöffelte.
Punkt letzter Löffel sah er sie
im Rückspiegel heranbrausen –
da geschah es.
Beim spontanen Griff nach dem Arschtaschenkamm
spürte er entsetzt – – –
EINGESCHISSEN!
Suppenkasper Dr. Oetker hatte ihm,
der im Verdauen von Plastiknahrung keinerlei Übung besaß,
einen astreinen Dünnschiss übergeholfen.
Schon stieg sie aus und kam näher.
Er erblich.
Was nun tun?
Ihr weißes Westchen straffte sich um die Oberweite.
Er sah nur einen Ausweg:
Blitzschnell von innen verriegeln
und Augen zu!

Als er irgendwann die Augen öffnete,
war die Luft rein und er konnte lüften.
Von Stund an sah er die weiße Blechlawine nie wieder.

Nach dem Großen Andersrum
wurde er als einer der Ersten entlassen.
Obwohl er beweisen konnte,
dass er sich vom einstigen Klassenfeind
mit Suppenterrinen hatte bestechen lassen.
Guter Rat kostete nun Westgeld.
Und alle Sicherheit verflog nach Nimmerwiedersehn.
Da erschien ihm nachts im Traum die weiße Blechlawine
und er konnte sich die Autonummer merken.

Hosenvoll fasste einen teuflischen Plan.
Er fuhr nach Hamburg-Blankenese zu einer
strahlendweißen Wirtschaftswunder-Villa mit Elbsicht.
Er klingelte.
Sie öffnete.
Er kniff den Arsch zusammen.
(Man konnte ja nie wissen.)
Sie fragte: Bitte?
Er sagte: Also!
Entweder Sie lassen sich jetzt von mir erpressen,
oder ich erfinde über Sie einen Vorgang,
in dem steht, dass Sie durch mich mit uns
zusammenkolaboriert haben!

Und da Weißwestchen
wie alle Weißwestchen
Angst hatte um ihre weiße Weste,
einigten sie sich gütlich
auf einen ansehnlichen monatlichen Zuverdienst.
So kam es, dass immer,
wenn unser frischgebackener Gehaltsempfänger
im Suppenmarkt eine Fünf-Minuten-Terrine erblickte,
er liebevoll der Gauckbehörde gedachte,
die mit ihrer Gerüchteküche dafür sorgt,
dass so viele Weißwestchen Angst haben,
von Hosenvoll und Konsorten angeschissen zu werden.


Beckert/Wolff 02/92; unveröff.

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