Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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SISYPHOS UND SEINE STEINE oder
DIE LIEBE UND DIE BÜRDE — DIE LIEBE BÜRDE
(Ein Zeichentrickfilmplot)

I

Mittagssonne. Sisyphos hockt niedergeschlagen mit schuldbewusst gesenktem Kopf. Neben ihm der liebe Zeus. Der Göttervater zeigt auf einen übermannsgroßen runden Stein und dann auf einen hohen Berg. Er reibt sich die Hände, kichert und schlurft davon. Sisyphos schaut ihm schiefen Blickes hinterher.
Schnitt. Sisyphos läuft prüfend um den Stein herum. Der Stein öffnet im schwach angedeuteten Witterungsreliefsgesicht zwei Augen, die Sisyphos verfolgen, erst so weit als möglich nach links mitgehend, dann ihn rechts misstrauisch mit gefalteter Stirn erwartend. Sisyphos streift Arbeitshandschuhe über, spuckt in die Handschuhflächen und greift zu.
Der Stein zieht die Mundwinkel nach unten, denn Sisyphos hat ihm mitten ins Auge gefasst. Leises Wimmern. Sisyphos beginnt krampfhaft zu schieben. Aber unten schnalzen zwei dünne Beinchen aus dem Stein und stemmen sich dagegen. Trotziges Brabbeln. Nichts geht vom Fleck. Sisyphos stemmt und schwitzt. Schweiß spritzt. Ein Arm des Steins entfernt Sisyphos’ Hand aus seinem Auge. Erleichtertes Aufatmen.
Schnitt. Bergmitte. Sisyphos schiebt den Stein mühselig, aber langsam bergaufwärts. Eine Bodenwelle wird sichtbar. Sisyphos müht sich, den Stein darüber hinweg zu bugsieren. Zwei vergebliche Versuche, dann rutscht Sisyphos aus, und der Stein rollt scheppernd über ihn hinweg zurück ins Tal.

II

Nachmittagssonne. Dieselbe Stelle kurz vorm Gipfel – der sozusagen kritische Punkt. Sisyphos wirkt älter und merklich ungepflegter. Mit sichtlicher Anstrengung schiebt er seinen Stein. Plötzlich streckt dieser einen Arm aus und zeigt irgendwohin in die Ferne. Ein Lautmal: Daaa! Sisyphos lässt sich ablenken, blickt in die Richtung – und just poltert der Stein hämisch grinsend an ihm vorbei ins Tal. Sisyphos dreht sich um und sieht, dass sein Stein ihn gelinkt hat. Er setzt sich und lässt verdrossen die Mundwinkel hängen.
Schnitt ins Tal, von wo der Stein Sisyphos neckig zuwinkt. Dieser rutscht auf dem Hintern seinem Stein hinterher.

III

Abendsonne. Sisyphos ist weiter gealtert. Auch der Stein zeigt Abnutzungserscheinungen und ist merklich geschrumpft. Bergmitte, an bereits erwähnter Bodenwelle. Sisyphos stoppt vor der Hürde, wischt sich die Stirn ab und anschließend seinem Stein fürsorglich die Aughöhlen und Falten. Der Stein grunzt wohlig. Man sieht, dass er seine Füße ausgefahren hat, um nicht hinabzukullern.
Schnitt. Kurz vorm Gipfel. Der Stein streckt eine Hand heraus, die einen Regulierstab hält. Er tippt Sisyphos an – Achtung! –, winkt ihn zur Seite, und sowie die Bahn frei ist, rollt er, mit der flachen Hand wie an der Mütze grüßend, an Sisyphos vorbei talwärts. Sisyphos wischt sich die Hände an seiner Arbeitsschürze ab und stapft seinem Stein hinterher.
Schnitt. Sisyphos putzt seinem Stein die Zähne. Der Stein gurgelt und spuckt in hohem Bogen Wasser aus. Sisyphos duscht unter dem Strahl.

IV

Es ist Nacht. Sisyphos trägt einen Bergmannshelm mit Lampe, die die Szenerie schattenrissartig beleuchtet. Stein und Sisyphos sind erneut an der bewussten Bodenwelle angelangt. Der Stein hebt den Zeigefinger, hopst selbständig über das Hindernis, und Sisyphos schiebt ihn vergnügt weiter. Die Kamera bleibt an derselben Stelle stehen. Es dauert ein Weilchen, dann kommt der Stein angerollt und hüpft mit einem übermütigen „Hoppla“ über die Bodenwelle talwärts. Sisyphos schlendert hinterdrein und ist sichtlich amüsiert über seinen gutgelaunten Stein.

V

Morgensonne. Sisyphos ist weiter gealtert. Er wirft seinen langen weißen Bart über die Schulter und rollt den weiter geschrumpften Stein wie einen Medizinball bergan. Mit einem Schubbs bewältigt er auf Anhieb eine ansehnliche Distanz. Die Bodenwelle wird diesmal spielend überwunden. Sisyphos schiebt den Stein mit dem kleinen Finger vor sich her dem Gipfel entgegen.
Schnitt. Kurz vorm Gipfel. Zum ersten Mal sieht man, dass auf der anderen Seite ein steiler Abgrund klafft. Der Stein zeigt merkliche Angstsymptome und stemmt sich mit allen Vieren gegen Sisyphos, der ihn auf den höchsten Punkt bugsieren will. Liebevoll tätschelt er seinen Stein, tritt beiseite, und aufatmend rollt der Brocken zurück bergab.

VI

Mittagssonne. Die bewusste Bodenwelle. Sisyphos und sein Stein kommen an. Sisyphos ist bestens gelaunt, ergreift den Stein übermütig mit beiden Händen, wirft ihn lässig über das Hindernis und schwungvoll darüber hinaus in Richtung Bergspitze. Der Stein bekommt zuviel Schwung, rollt über den Gipfel hinweg und verschwindet. Man vernimmt den verzweifelten Klageschrei eines Abstürzenden. Sisyphos erstarrt, schaut auf seine leeren Hände und hastet zum Gipfel. Hängende Mundwinkel und Tränensäcke.
Schnitt. Man sieht, wie der Stein in langen Serpentinen abwärts kullert, immer schneller wird und im Tal von einem lauernden antiken Hammerwerk martialisch zertrümmert wird. Sisyphos hält sich entsetzt die Augen zu.

VII

Im Tal. Nachmittagssonne. Sisyphos testet neue Steine. Zuerst einen ganz kleinen, den er prüfend in die Luft wirft und dann selbstkritisch ausmustert. Dann prüft er einen großen scharfkantigen, versucht ihn zu rollen, verletzt sich die Hände und schüttelt enttäuscht den Kopf. Schließlich wandert sein Blick in eine bestimmte Richtung – und seine Stimmung hellt sich merklich auf.
Schnitt auf einen schicken bunten Stein, schön rund und nicht zu groß …

(1986)

Das Script wurde 1986 unter der Regie von Sieglinde Hamacher beim DEFA-Studio für Trickfilme verfilmt.





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