Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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DAS RATTENGIFT
oder WIE DAS DUO SONNENSCHIRM DIE DDR RETTETE

Wir diskoitieren
Über Moralalalalalalala
Nächtelang mit Eiferkeit und Wucht
In Ferno rückt das Ziel, je mehr man sucht

Wägen Um- und Ausweg
Nachtigalalalala tralalalala
Ich hör dir strapsen – doch es tut mir leid
Schlecht sitzt dir dein Pleitegeierkleid

Während der Wochen voller friedlicher Tumulte
trottete die Initiative allseits vernachlässigt auf und ab, weil – niemand ergriff sie.
Wir mochten das nicht mit ansehen,
denn unser aus der E-Hocker-Epoche
herübergerettetes Verantwortungsbewusstsein machte uns schlaflos.
Und so verabschiedeten wir zweistimmig einen gemeinsamen Entschluss,
nämlich bei Nacht die Initiative zu ergreifen und uns mit ihr einzuschiffen.
Nicht wohin Sie denken, sondern nach Amerika!
Das heißt, wir kidnappten im Überseehafen die MS Liebesknochen (vormals MFS Mielke)
und stachen in See, die DDR vor dem Untergang zu retten.
Es sollte eine Reise werden voller aufregender Abenteuer,
die wir uns hinterher noch oft beim Bier mit schwerer Zunge vorlallen würden.

Gleich hinter Schottland schipperte auf einem Atomboot
Gottvater Gorbi auf dem Wege nach Malta unter uns hindurch
und zog unversehens unsre schöne Initia in die Tiefe,
damit sie für ihn im Interesse des Weltfriedens anschaffen gehe.
Da war guter Rat nass!
WIR hatten sie doch ergriffen, um UNSER Land zu retten.
Nun standen wir da – ziellos, verwirrt und seekrank.
Miss Geschick (die alte dürre Schwuchtel) war unbemerkt zu uns an Bord gekommen.
„Ich habe sie zuerst gesehen!“ –
„Nein, ich!“ –
„Ja, aber von hinten!“ –
„Natürlich, denn vorne drückte sie ja dich an ihre knochige Kombüse.“
Das heißt, sie streichelte meinem Kollegen den Scheitel,
und versuchte ihm dabei heimtückisch den Hals auszukugeln,
um ihn den Eisbergen zum Erfrieren vorzuwerfen.
Plötzlich –
„Ich hatte meinen Kollegen schon aufgegeben ...“
„... ließ sie von mir ab und sprang kopfüberbord dem Schalk in den Nacken,
jenem ehemaligen Staatssekretär, welcher soeben auf Wasserskiern an unserem Schiff vorbeihastete,
auf dem Weg in die Flucht.“
Das war ein spannendes Abenteuer voller aufregender Momente
und vor der romantischen Kulisse einer untergehenden roten Sonne.

Am Morgen lunchten wir.
Ich muss sagen, Toronto wirkt auf den ersten Blick wie eine Stadt in Kanada.
Unseren Botschafter bekamen wir nicht zu Gesicht.
Er hatte ein Zeichen setzen wollen und war beim Zurücktreten vom Balkon gestürzt.
Damit hatte er zugleich unsere Hoffnung auf eine Goldgräberlizenz zerschlagen,
die wir gebraucht hätten, um die DDR freizuschürfen,
wie es unser Zehnpunkteplan vorgesehen hatte.
Was tun?
Wissen Sie, in Kanada ist guter Rat einfach mal teuer.
Ringsum Toronto und keine Geborgenheit!
Abend war’s,
die Frittenbuden verrammelt,
von Grönland pfiff eine harsche Brise,
und die Peitschenlampen knallten kalt auf uns herab.
„Da sah ich sie auch schon wieder um die Ecke staken –
Miss Geschick!
Unverkennbar!
Diese dürren Beine!
Diese glasigen Augen!
Die zwei pechschwarzen linken Hände. –
Wir ergriffen umgehend die Flucht!
Sie hinterher!
Wir linksrum. Sie rechtsrum.
„Gottseidank“, sagte mein Kollege, aber wir hatten uns in der Richtung geirrt!
Plötzlich kam sie frontal auf uns zugeschossen!
„Im buchstäblich letzten Moment entkorkte ich einen Gully
und zerrte meinen Kollegen in den Underground.“
Eine Flutwelle von Gestank schlug über uns zusammen.
(Glück muss man haben.)
Wir hatten die Alte abgehängt.

Drei dunkle Tage lang irrten wir ziellos durch die Kanadalisation.
Dann überfiel uns plötzlich der Hunger.
„Mein Kollege ging daran, eine x-beliebige Ratte zu erdrosseln
und über offenem Feuerzeug zu flambieren.
Ich gestehe, er hatte meinen Segen nicht.“ –
„Du wolltest aber mit etwas Achselschweiß nachsalzen!“ –
„Ja, und erbrach darum den Tiere dem Kiefer!“
Den Tiere dem Kiefer?
„Ja, Sie sehen, die Situation war sehr grammatisch.
Just erblickten meinen Augen ...“ –
»„Es waren meine Augen!“
„Du hattest doch den Rattenrachen aufgebogen und den Daumen drüber!“
„Ja eben!“
„Na, sag ich doch!“
„Es war ja stockdunkel!“
„Ja, aber es blinkte und gab uns ein Zeichen.“
Seltsam erhellte es sich, und man sah in den Gewölben die Fledermäuse ultraschallern.
Und siehe und staune,
die gefangene Ratte hatte einen Stoßzahn von purem Gold.
„Wir hatten eine Goldhamsterratte erwischt!“
Eines jener sagenhaften Tiere, nach denen Jack London ganz Alaska zerwühlt hatte.
Hierher hatten sie sich also verkrochen!
Unsere Freude war über und über – eine originale Radattenratte!

„Mein Kollege küsste das verblüffte Tier ...“
„Nein ich!“
„Sag ich doch! ... auf die Brustwarzen, worauf es spitz aufpiepste und zurückknutschte.“
„Iiiiiih!“
„Schaurig-schöner Ekel überkam meinen Partner.“ –
„Also mich!“
Und diese Schockreaktion müssen die Ratten offenbar missverstanden haben,
wie man das im Leben ja öfter erlebt.
Ehe wir uns einer hinter dem anderen in Sicherheit bringen konnten,
waren wir von Hunderten Ratten umzingelt, die allesamt prachtvoll im Golde standen.
Eine ältere Rättin hinkte an güldenen Krücken.
Eine Leseratte betrachtete uns durch ein reichverziertes Monokel.
Ein Rätterich trug gar eine Schwanzprothese
von der Dicke eines Süßwasseraalfisches aus purem Gold.
Kurz – hätten wir allein diese paar Viecher rumgemacht, wären wir vermögender gewesen,
als unser Partnerbetrieb nach vierzig Jahren Planwirtschaft.
Aber es kam noch fetter!
Nämlich in Gestalt des Rattenkönigs und seiner Leibrotte.
Fünfzehn güldene Trombosen erbliesen, und alle hymnten das Rattenfanale:

Wo die Brühe brodelt
Und die Kakerlaken auf bekackten Laken lagerten
Wo der Mief mefft und der Modder mufft
Ist die ekel-edle Rattengruft
Wo die Würmer wimmeln
Wo in hohlen Höhlen, engen Gängen Chemoschampoo schäumt
Wo die Maden baden sich im Schmand
Ist der Rattenmütter Vaterland!

Vaterland!
Heimatland!
Muttererde!
„Meinem Kollegen bog sich bei diesen Worten das Ohr zur Tröte,
und er weinte bitterlich aus allen Rohren über die tiefe Krise,
in die sein gelobtes Land hineingeritten war.“
Aller Sinn schien lose.
Da trat der Rattenkönig gerührt herzu
und schenkte meinem verzweifelten Kollegen einen knallgoldenen Ring!
„Da hätten Sie mal einen stinken sehen können.“ –
„So ist das immer: Er lamentiert und wird zum Lohn,
dass er sich gehen lässt, mit Präsenten überhäuft!
Und die, die sachlich bleiben, gucken ins Rohr!“

Apropos Rohr.
Da tauchte unterm Fallrohr unangemeldet und jäh das atomare Unterboot auf.
Gottvater Michail öffnete die Kanzel und
– wir wollten in der Finsternis unseren Augen kaum trauen –
ließ die schöne Initiative herausklettern und empfahl sich formvollendet.

„Meinem Kollegen spannte sich sofort das Hemd ...“ –

„Über der Brust!“ –
„... und während er einfältig sein Gold anschwieg ...“ –
„... ergoss er über die verdutzten Ratten einen silbrigen Redeschwall.“
„Listen to me, folks, hab ich all mein Angelsächsisch zusammengenommen,
my home country is ruiniering.
We have no money for saniering the chaos.
No chance for locking back the ausflüglers.
And no medicine for healing the neonazies.
Working class underdogs, hab ich ausgeholt,
in all undergrounds all over the world canalization,
fight for against your underdrücking.
We are the champions, hab ich gesungen,
hobble out for retting the world
open on the earth,
oben auf der Erde,
we shall over come,
egalité,
jetzt ist alles egal,
than the last time is a business by the hotdog,
den Letzten beißen die heißen Hunde!“

Diese kämpferische Ansprache in English For You
pflanzte in die weichen Rattenherzen einen Schrittmacher des Mitgefühls,
als auch eine solidarische Laus in jedweden Rattenpelz.
Die Ratten für gegenseitige Wirtschaftshilfe zogen einander an den Schwänzen
zur Berattung zurück und verkündeten anschließend,
unserem Lande – repräsentiert durch uns –
fünf Festmeter Gold schenken zu wollen.
Allerdings mit der Auflage, künftig jede Ratte, gleich welcher Hautfarbe und Pelzsorte,
zu achten, zu respektieren, jederzeit jedenorts ein- und ausgehen zu lassen
und die bestehenden Knabberbeschränkungen aufzuheben.

Dieses Geschenk – englisch: Gift – hätte als sogenanntes Fünfer-Rattengift
in unsere Geschichtsbücher eingehen können,
wäre nicht mein Kollege von der Initiative an einer sehr empfindlichen Stelle ergriffen worden.
„Eine Stelle, die sozusagen im Zentrum liegt,
und wo man, äh, ansonsten eher hingetreten wird.“
Es erhob sich ihm wiederum der Brustkorb, und er wurde unverschämt:
„Ob das denn reichen täte, hab ich die gefragt,
bei der Lage, in der wir stäken.
Ob die denn nicht wüssten, hab ich gefragt,
dass wir zwar jede Menge Beine auf die Demo,
aber kaum noch eins auf die Erde kriegen.
Und überhaupt: Leuna Borna Buna Jena –
da ist doch das bisschen Kohle im Handumdrehen fehlinvestiert,
hab ich denen ins Ohr gerakelt.
Und mein Kollege nickte, was der Hals hielt.
Bis die Ratten klein bei- und noch einen Haufen draufgaben.“
Wir huben samt unserer Initia zu einem dreidimensionalen Freudentaumel an,
während die Ratten unsere Radatten aufs Schiff schafften.
Es war dies ein großes Abenteuer,
an das wir uns so ungern gar nicht erinnern.

Durch die Valutaminspritze genoss unser Land Genesung und damit weltweite Wertschätzung.
Innerhalb eines Jahres wurde es zu einem Paradies für Globustrotter aus aller Herren Länder,
die selbstverständlich ein Begrüßungsgeld in purem Gold erhielten,
was sie stehenden Fußes wieder ausgaben,
denn das Warenangebot war von solcher Völle, dass die Regale zusammenstürzten,
die Einkaufswagen grätschten und die Kioske auseinander barsten.
Das Gold lag förmlich auf der Straße!
Zahnärzte hatten gutes Arbeiten.
An den Grenzstationen prangte „DDR“ in protzigem Schwermetall
und bedeutete nichts anderes als „Dorado der Radatten“.
Das Brecht-Eislerlied über die belebende Wirkung des Geldes
wurde siebzehnmillionenmal verkauft und mehrfach verplatiniert.
Endlich war alles Gold, was glänzt – und dieses flapsige Sprichwort hatte abgewirtschaftet.
Die Bevölkerung übte sich in Maßlosigkeit
und konnte endlich wie im Westen leben und arbeiten wie im Osten.
Sogar ein berühmter Liedermacher ließ seine alte kranke Mutter in Hamburg sitzen und kehrte zurück.

Alles war vor Freude eitel.
Bis auf den Müll überall.
Aber sonst ...
Die Ratten, nun gut, wegen der Vertragsgemeinschaft durfte man ja keine Viecher mehr vergiften.
Das war aber auch das Einzige.
Bis auf das Gepiepse.
In unserem Haus waren wir elf Personen
und im Keller fünfhundertvierzig Ratten,
ein Verhältnis von knapp eins zu einundfuffzig.
Aber sonst war alles o.k.
Wirklich.
Bloß dass man nicht schlafen konnte.
Und überall die Flecken.
Und das Jucken.
Aber besser, es juckt, als wenn's brennt.
Nicht wahr?
Ebend.

Seit es uns so gut geht
Ja so pudel-nudel-hudel-sprudel-sudel-trudelwohl
Ist auch Kommunismus wieder in
Denn das Dasein braucht ja einen Sinn


Beckert/Wolff 12/1989

veröff. in Die Liebe in den Zeiten der Kohlära (1993)

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