Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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MUSE DICHTER ZENSOR

Der Autor hockte in seiner elitären Buchte und streichelte sein Verballhörnchen.
Er war eins mit der Welt,
denn eine ältere Dame hatte ihm im Centrum-Warenhaus an der Rolltreppe den Vortritt gelassen.
Eine Menschheit, die ihre Dichter derart verehrt,
hat es verdient, von mir in Verse gemeißelt zu werden.
Und was wäre besser geeignet, die Menschheit zu erfreuen, als eine lustige Geschichte?
Frischer fröhlicher Humor.
Und was wiederum wäre Humor ohne Lachen?
Ein Tänzer ohne Traum.
Ein Kreißsaal ohne Säge.
Ein Spreeathener ohne Akropolis.
Hoch lebe die Lachsalbe, die uns die Mundwinkel eincremt.
Hoch lebe das heitere Gewieher, das unser Gewissen entwässert.
Hoch leben die gelifteten Zwerchfelle,
von deren Schnittresten der Humorist sich einen neuen Lachsack nähen lassen kann.

Inspiriert schwoll des Dichters Kuli zur Zuckertüte, voll bis zur Krause mit unermesslichen Wortschätzen.
Da waren Worte wie SANDMANN – ICH – NOBELPREIS – ABGELEHNINT.
Aber auch Worte wie WUSTERSOSSE und GROSSKUNDGEBUNG.
Im Kreuzfeuer sprühender Funken duckte er sich übers Papier und begann:

Er war ein komischer Vogel
Und wenn er den Schnabel verzog
Lachten die Leute sich schier ringsum tot
Sein Lehrer fragte ihn
Was denn nur so komisch wär
Der Kleine sann angestrengt nach
Seine Gesichtszüge verhakten sich
Und der Pädagoge konnte nicht anders
Als derart loszuprusten
Dass seine Lachmuskeln ausleierten

Der Dichter fiel in die Arme seiner geliebten E-Koitarre
und erfreute sein Herz im Viervierteltakt über das Gefabelte.

Der Türgong ging.
Zu Besuch kamen des Dichters Muse und sein Zensor.
Der Künstler blickte ihr tief in den Hals und flötete: Gut, dass du kommst!
Huckepackte sie sicheren Griffs und verschleppte sie ins Schlafeck,
wobei sie mit sanftem Flügelschlag nachhalf.

Der Zensor maulte: Und ich? Soll wohl wieder das Verballhörnchen füttern?
Vor dem Spiegel hielt er inne und spuckte sich mürrisch ins Gesicht.

Als der große Zeiger dreimal die Zwölf gegrüßt hatte,
kroch der Dichter erschöpft aus der Intimsphäre.
Es ist vollbracht, flötete er mit Engelszunge
und reichte dem Zensor stolz die zweite Strophe seines Humorpoems.
Angewidert nahm dieser das Blatt zwischen zwei Fingerkuppen und warf einen radierenden Blick darauf:
Schon wieder eine lustige Geschichte!

Lachen ist aller Verscheißerung Anfang.
Wer verscheißert wird,
käckert sich die Hosen voll,
und das limitierte Klopapier passt nicht durch den Engpass.
Lachen macht unsachlich, ist ansteckend und belastet unser Gesundheitswesen.

Die Muse entschwand und überließ das Feld der Miesmuschel.

Wir brauchen weniger Ulk und mehr Nudeln.
Wie schnell schießt ein Witz übers Ziel,
landet im vollen Teller des Schlaraffenländers
und beschmaddert die Klarsichtscheibe in die Zubrunft.
Humor entweiht.
Dabei sind es gerade Weite und Vielfaltirallalla, die uns unserem Ziel näher bringen,
dem neuen Fünfjahrplan, auf dessen Hauptkampffeld es noch so manch kapitalen Bock zu erlegen gilt.
Und unsere kapitalen Böcke bringt man nicht mit Lachsalven zur Strecke.

So schnippelte der Zensor Kraut in seinen Sauertopf,
um sich dem zu beknubbelnden Reimwerk mit gehöriger Voreingenommenheit nähern zu können.

Er war ein komischer Vogel
Und wenn er den Schnabel verzog
Lachten die Leute sich ringsum schier tot
Der Ernst des Lebens rückte ihm auf den Pelz
Denn was Hänschen nicht lernt
Kann Hans nicht verlernen
Er wurde Ansager beim Staatlichen Fernweh
Die Premierenangst trieb ihm ein Faltengebirge ins Gesicht
Und es kam wie vom Folgerechtler befohlen
Dass ihm bei seinem Debüt derart die Gesichtszüge entglitten
Dass eine einzige allgewaltige Lachsalve aus allen Fernwehstuben
Einer Sturzflut gleich übers Land schwappte

Der Zensor verharzte zu einer Stele ehernen Ernstes.
Die Mundwinkel küssten die Fußnägel.
Auf der hängenden Unterlippe begann das Verballhörnchen zu wippen.
Davon erheitert, schritt der Dichter zu seiner geliebten E-Koitarre und lachte im Viervierteltakt.
Verlor dabei kichernd das Gleichgewicht und kippte rücklings in seine Nesselzucht,
welche er auf dem Balkon angebaut hatte, um sich probehalber immer mal in die Nesseln zu setzen.
Brennt schon ganz schön, dachte er
und schob vor Schmerz die Unterlippe über die Augen.

Ein Bild, um Lachsäcke zum Weinen zu bringen.
Im Zensor begann es zu glucksen.
Vom Zwerchfell hoch schob sich ein schadenfrohes Grollen.
Ernst bleiben, Heinz, schrie seine innere Stimme.
Aber zu spät.
Sein Mundwinkel hob sich,
seine Oberlippe blekte auf,
und eine Reihe locker aufgefädelter Zähne erglitzerte.
Aber der Zensor wollte nicht lachen!
Wie weiland Rumpelstil stieß er mit dem Fuß so zornig in die Diele,
dass er bis zum Leib hineinfuhr.
In seiner Wut packte er den andern Fuß mit beiden Händen und riss sich selber mittenzwei.
Atempause.

Wieder ging der Gong.
Der lachende Dritte – sprich: der Dichter – kroch aus den Nesseln und schlurfte aufmachen.
Draußen stand die Muse,
frischgeschminkt, einen Rotstift im Ohr.
Du schon wieder? mauzte der Autor.

Ja und nein, sprach die Muse.
Von heut an siehst du in mir
Zensor und Muse in einer Person
Just wenn ich dich inspirier
Da zensier ich dich auch schon –
Des Zensors Hinterlassenschaft
Ist die Selbstzensur aus eigner Kraft


Beckert/Wolff 1987

veröff. auf dem Bootleg Beschattung durch Duo Sonnenschirm (1987)

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