Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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HYMNE AN DEN ALTEN EIMER

Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn,
dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen,
dem Bekannten die Würde des Unbekannten,
dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe,
so romantisiere ich es. (Novalis)



Der Hymnologe blieb stehen
Vor dem alten Eimer
Habachtete
Stemmte die Daumen in die Hüften
Und fuhr die Unterlippe vor:

Du alter Eimer
Entschuldige
Mehr war nicht drin
Sei froh, wenn dich überhaupt einer ansingt
Du alter Eimer
Guck dich doch an
Wie du aussiehst
Mit runterhängendem Henkel
Immer lässt du dich tragen
Voll wie zwanzig Euter
Ich glaube nicht
Dass mir für dich etwas Erhabenes einfällt
Du alter Eimer
Dauernd reißt du dein Maul auf
Schluckst alles in dich rein
Dann kippst du um
Und saust alles voll
So du Ohren hast
Du alter Eimer
Dann höre

Das ist dein Lied, du alter Eimer
Hohlgebogenes Blech
Scheinheiliger Pappenheimer
Da stehst du nun und leckst
Bodenloser Wassereimer
Hoffst du, dass du Mitleid weckst? –
Ich könnte mich beeimern

Der Hymnologe beeimerte sich
Ließ den Henkel fallen
Und wandte sich ergriffen ab
Wobei sein Blick sich
In dem geliebten Steckschach verfing
Er stemmte den Daumen in die Hüfte
Und schob die Unterlippe zurück:

Dies ist dein Lied
Du kleines Steckschach
Filigraner Schnitz ...

Da platzte dem alten Eimer der Kragen
Und ein Stück Emaille schnipste
Dem Hymnologen mitten in die Pupille
Er stürzte über den Henkel
Fiel die Treppe hinab
Und brach sich drei Beine:
Schienbein, Schambein, Schlüsselbein
Und kam also nicht mehr dazu
Der deutschen Einheit
Eine neue Hymne zu schöpfen
So dass wir also weiterhin
Mit dem alten Fallers leben müssen

Beckert/Wolff 1991

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