Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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Sag mir, wo die Grünen sind
Wo sind sie geblieben?
Schäubles Kohlstuhl rollt geschwind
Über Kippen weht der Wind
Nie wird man je verstehn

Sag mir, wo die zweite Strophe ist
Wo ist sie geblieben...

DIE GRÜNSTEINVARIANTE

CHEFARZT: Vor drei Wochen wurde der berühmte Umwelt-Politiker Dr. Ischias Grünstein mit hypertropher Drepressivneurose in unser Heidesanatorium „3. Oktober“ eingeliefert, nachdem er in seiner vorfristig beendeten Legislaturperiode unsere Stadt überschwemmt und abgefackelt hat. Wir baden ihn dreimal stündlich in Spaltvalium und stöpseln ihn rund um den Zeiger an den Bleitropf, so dass man, oberflächlich betrachtet, sagen kann, der Patient ist übern Berg und befindet sich auf dem Weg ins Tal der Genesung. Zumindest hält er schon wieder Reden.

GRÜNSTEIN: Die Situation, GenossenInnen, wenn ihr euch erinnern wollt, war doch die: Wir hatten die Patenschaft über die Müllkippe Ost übernommen, Antje hatte beim Rat ein Begrünungsprojekt durchgedrückt, und wir waren jeden Tag auf der Kippe. Setzten Setzlinge, badeten im Wasser, zelteten in Zelten. Nebenbei half ich den Hasen beim Ausschlüpfen, und Antje fütterte die Aasgeier. Als die ersten Radieschen blühten, machten wir einen frischen Salat für die Behinderten im Waisenhaus und organisierten einen Spielnachmittag mit Holundersekt und Tauziehen.

MARCO KÄSBOHRER: Kipperfahren ist astrein. Vierzig Tonnen sind ein Argument, dem schwer zu widersprechen ist.

GRÜNSTEIN: Und eines Morgens in aller Frühe sind sie mit ihren Müllkippern über unsere Fahrräder gebrettert.

MARCO KÄSBOHRER: Ich gurke so über die Kippe, entlause eben meinen Fuchsschwanz am Zündschlüssel, da höre ich’s unterm Bodenblech knirschen und denke, Marco, denk ich, hoffentlich saß da man keiner in.

GRÜNSTEIN: Dann sahen wir überall die gelben Fässer liegen. Die Karnickel wurden kahl und die Aasgeier blieben weg. Und Sie wissen ja, wenn die Aasgeier erst einmal wegbleiben, kommen sie so schnell nicht wieder. Von da an gingen Gerd und Uschi ununterbrochen Streife. Bis zu der denkwürdigen Nacht ...
Als wir sie fanden, ragten nur noch die Beine aus dem Müll. Ich sofort zur Krisensitzung. Geredet wie ein Buch. Dass wir uns nicht länger auf der Nase rumtanzen lassen dürfen. Dass wir nun ganz andere Seiten aufschlagen müssten. Aber die Lindgrünen waren ja, gelinde gesagt, völlig naiv: Laberzirkel, Ikebana, Jutebeutel ...

ALBERT GRAF DUMM-DREIST: Was wollten die eigentlich? Jahrelang konnten wir immer alles überall hinkippen, und nun sollte das auf einmal nicht mehr gut sein! Meine gesamte Produktion war gefährdet. Warum soll man’s noch produzieren, wenn man es nirgends mehr hinkippen kann? Das ist doch suboptimal.

GRÜNSTEIN: Die GenossenInnen stellten Transparunkeln vor die Deponie: BITTE NICHTS HERKIPPEN! Diskutierten mit den Müllfahrern. Stundenlang. Sie konnten sich aber nicht verstehen – weil der Gifthahn so laut plätscherte. Tagsdrauf wieder fünfzig gelbe Fässer.

IWAN IWANOWITSCH HANDOW: Kam zu mir nemezky Freund Dr. Grünstein und sagt, poschaluysta Iwan Iwanowitsch, bitte besorgen mir große Kanone, ich Schnauze voll. Ja dumaju, Vorsicht, grüner Freund hat Flattern in Auge! Also ich ihm geben nur ganz kleine Maschina Kalaschnikowa. I gowarju: Towarischtsch, dieses Stalinorgel ein wenig verstimmt, das heißt, schießen um Ecke. Aber keine Angst, sein nix kaputt, sondern Symbol für Perestroika – wy erinnertje wam? – Zielen in Schwarzes und treffen ins Blaue.

GRÜNSTEIN: Von da an lag ich holzaugenmäßig auf der Kippe auf der Lauer.

ALBERT GRAF DUMM-DREIST: Ich zahlte meinen Fahrern hohe Zielprämien für jede platzierte Tonne Benzolphenyzillin und Bhutamegapolychlorid. Dann schossen sie Marko Käsbohrer, meinem besten Mann, die Eier ab.

GRÜNSTEIN: Den Eierabschuss betreffend, erkläre ich hiermit eierlich, ääh feierlich, dass der Schuss in die Hose eigentlich vor den Bug gehen sollte. Aber was solls, die Wirkung war positiv, denn es hagelte Glückwunsch- telegramme ohne Ende: Sauber! Weiter so! Die brauchen das! Macht sie fertig!

ALBERT GRAF DUMM-DREIST: Dadurch ermutigt, sprengten sie mir einen ganzen Konvoi voll Terpentinaminopolyhydridkarboladrenalin in die Luft. Die Wähler missverstanden das als Feuerwerk und wählten die Grünen begeistert mit absoluter Mehrheit ins Stadtparlament. Das war total suboprtimal.

GRÜNSTEIN: Wir wollten unsere Wähler nicht enttäuschen und gingen kompromisslos an die Probleme heran.

HERIBERT MÜLLER: In der Giftmühle gab’s nun Kurzarbeit. Weil die Firma den Müll nicht mehr los wurde. Die Grünen umzingelten den Betrieb. Mit Hubschraubern flogen sie ihre albanischen Phenolsuchschweine herum, und wehe, die bekamen Wind. Und daheim rissen die Wänster die Mäuler auf und froren sich die Ärsche ab – weil wir nicht mehr heizen durften.

GRÜNSTEIN: Das stimmt so nicht. Wir haben lediglich die Kohle rationiert, um die CO2-Emission zu senken.

HERIBERT MÜLLER: Uns war aber kalt.

GRÜNSTEIN: Dann besorgt sich der Naffel Schwarzkohle und heizt unerlaubt weiter.

HERIBERT MÜLLER: Na und?

GRÜNSTEIN: Das konnten wir doch nicht durchgehen lassen. Kleiner Finger – ganze Hand, kennt man ja. Also – pro Rauchschwade hagelte es Strafmandate.

HERIBERT MÜLLER: Na prima.

GRÜNSTEIN: Was macht der Naffel? Nagelt seine Essen zu und wärmt sich an offenen Lagerfeuern in den Hütten.

HERIBERT MÜLLER: Unsere Kinder zitterten wie Sülze.

GRÜNSTEIN: Dabei brennt die halbe Stadt ab, und wir sind schuld.

ALBERT GRAF DUMM-DREIST: Seien wir doch ehrlich! Wer hat denn überall die Straßensperren aufgestellt? Selbstschussanlagen, Radarfallen. Meine Werktore abgeriegelt? Parolen an meinen Daimler geschmalert: SEID KÜHNER – WÄHLT GRÜNER! Da lachen ja die Hühner! Hahahaha.

GRÜNSTEIN: Was nützen die schönsten Ideen, wenn man sie nicht rigoros durchsetzt?

HERIBERT MÜLLER: Sämtliche Arbeitsplätze waren in Gefahr. Also sagten wir, wenn wir den Scheiß schon produzieren, können wir ihn auch rausschaffen. Von da an ging nach Schichtschluss jeder Kollege mit einer Plastiktüte voll Giftmüll nach Hause, den er eigenverantwortlich zu entsorgen hatte. Bloß – wohin damit? Hinter jeder Kante lauerten die Ökobullen und die Phenolschweine. Dann hatte ich DIE Idee. Und ich sage Ihnen, ich habe noch nie so viel Kultur über mich ergehen lassen, wie in diesen Tagen. Theater, Kino, Kabarett – und überall, wo ich kulturell zugange war, stand anschließend unterm Sitz mein Giftmüllbeutel. Eben vergessen. Kann ja vorkommen.

GRÜNSTEIN: Da hören Sie’s. Die Leute waren unvernünftig. Wir mussten sie zu ihrem Glück zwingen.

HERIBERT MÜLLER: Schon bald kam kaum noch einer durch die Kontrollen. Wir also in den Untergrund. Kanalisation. Hatte man sich an den Gestank gewöhnt, war es fast gemütlich. Kein so hektisches Gedränge wie im Berufsverkehr. Unterm Bahnhof, wo das Fallrohr vom Krankenhaus ankommt, eröffnete eine Würstchenbude, Bier gab’s vom Fass, Gefunzel vom Akku, pissen konnte man sowieso überallhin, was will der Mensch mehr? Wir machten eine Kette bis zur Kläranlage und reichten die Beutel durch. Immer rein damit. Nützt ja nüscht.

GRÜNSTEIN: Als dann die Kanalratten hochkamen, haben wir kurzentschlossen die Gullys zubetoniert.

HERIBERT MÜLLER: Und die Kloaken liefen über.

GRÜNSTEIN: Davon waren wir ja schließlich am meisten betroffen. Wir mussten für unsere Phenolsuchschweine Schwimmpanzer anschaffen, weil die doch so kurze Beine hatten.

LIESCHEN MÜLLER: Anfangs war ich ja dafür. Hab ich zu meinem Mann gesagt, Heribert, hab ich gesagt, die sind richtig, weil die sind nicht verkehrt. Andauernd die Giftschwaden vorm Fenster, und der hässliche Ausschlag, den die Franzi immer kriegte, wenn sie im Grundwasser planschte – wenn das einer ändert, hab ich gesagt, dann nur die. Als ich hörte, dass die Grünen Schwimmpanzerfahrer suchten, hab ich meinen Heribert gleich angemeldet. Mit Panzern kennen wir uns nämlich aus, weil wir hatten ja einen Lada gehabt. Aber so allmählich ging dann selbst mir die Hutschnur auf. Verteilten die doch plötzlich an alle Haushalte Waschmaschinenfahrtenschreiber. Da hörte der Spaß aber auf! Eine Trommel pro Woche!

GRÜNSTEIN: Wie sollte denn das Wasser von den Straßen ablaufen, wenn in jeder Buchte rund um die Uhr die Waschmaschinen rumpelten?

LIESSCHEN MÜLLER: Kann mir so ein grüner Weltfremder mal verraten, wie ich das machen soll? Jeden Tag eine Giftkombi vom Heribert und ein Badeanzug von der Franzi, und alles total vom Grundwasser verchlort, von meinen Schlüpfern will ich gar nicht reden. Und wehe, man hatte mal eine Trommel mehr zu waschen! Gleich gab’s Strafzettel, Eintrag ins Familienalbum, und mein Mann musste Extraschichten Schwimmpanzer fahren.
Und dann donnert der Ochse nach dem Frühschoppen rotzbesoffen die Straße runter und überrollt unsern Lada. Da hörte der Spaß dann ganz und gar völlig und überhaupt auf. Die Rostlaube entsorgen bei den neu verordneten Verschrottungspreisen! Wer sollte denn das bezahlen?

GRÜNSTEIN: Das war meine Idee. Wir haben die Auto-Entsorgungstarife so saftig angehoben, um das Fahrrad wieder attraktiv zu machen.

LIESSCHEN MÜLLER: Totaler Wucher! Was machten wir also? – Raspeln! So wie die Meiers von nebenan. Alleine für die Kofferklappe brauchte Heribert eine Woche und drei Feilen. Dann hab ich die Späne in die grünen Klöße und den Hefeteig verteilt, und von da an gab’s jeden Sonntag Lada in Senfsoße. Die arme Franzi hat jedesmal sooo gereihert.

GRÜNSTEIN: Die Stadt schwamm förmlich in der Gülle. Es war wie im Mittelalter. Man konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es ist geradezu ein Wunder, dass ich noch auf die Idee mit den Toilettenfahrtenschreibern kam. Daraus wurde dann unsere letzte große Kampagnie: Einmal ziehn pro Tag pro Po – Zweimal ziehn dagegen No!

LIESSCHEN MÜLLER: Öfter hätte mich sowieso keiner mehr auf die Schlotte gekriegt. Überall das verlauste Viehzeug. Jeden Tag kam die Franzi mit einer neuen Ratte vom Schwimmen.

GRÜNSTEIN: Gegen Tiere gab’s leider kein Unkraut-Ex. Das einzige wäre noch Sperrfeuer gewesen, aber da sperrten sich unsere Tierschützer.

LIESSCHEN MÜLLER: Dass sich die Franzi nicht ekelte vor den Viechtern. Eine komische Jugend ist das heute. Wir hatten noch hübsche Bakelitpuppen damals, wo man die Arme abdrehen konnte. Und die schmust mit Ratten.

GRÜNSTEIN: Ich wollte einen ganz neuen Dritten Weg pflastern und bestellte mir in Sonneberg ein neuentwickeltes Solarauto. Am Ostersonntag unternahm ich vor aller Presse eine Jungfernfahrt nach Schweinau. Dummerweise kam ich nur bis Ferkelsheim. O diese Pleite! Was konnte ich denn für die Sonnenfinsternis!?

HERIBERT MÜLLER: Mein Chef, der Graf Dumm-Dreist, nahm mich konspirativ beiseite, schob mir einen so dicken Schein in die Arschtasche, dass ich kaum noch grade sitzen konnte, und da hab ich halt die Augen zugedrückt und bin mit meinem Schwimmpanzer drübergerollert über dem Grünstein sein gelbes Auto. Aus Versehen. Passiert so. Nützt ja nüscht.

GRÜNSTEIN: Ich dachte, ich will’s nicht sehen, als ich Ostermontagmorgen mein schönes Solarauto als Flachbatterie daliegen sah. Die Entsorgung bezahlen fiel natürlich aus bei den schmalen Diäten, die wir uns genehmigt hatten. – Also ebenfalls raspeln. Kotflügel auf Sesambrötchen mit gekochten Wischergummis. Prompt krieg’ ich eine Darmgrippe, und der Toilettenfahrtenschreiber glüht. Was sollte ich denn machen? Waren ja alles meine Ideen. Den ganzen Tag stellte ich mir selber Strafzettel aus! Als dann der Briefkasten überquoll, bin ich einfach durchgedreht.

GRAF DUMM-DREIST: Wenn Sie mich fragen, die Grünen sind völlig bescheuert. Ich frage Sie, was ist denn das für eine Macht, die sich selber fertig macht. Das ist doch totalglobal suboptimal.

GRÜNSTEIN: Nun bin ich hier. Angeblich zur Beobachtung. Aber – Holzaugen sind wachsam. Nachts, wenn die Schwester schläft, steig’ ich aus dem Fenster, seile mich am Fallrohr ab und schleiche mich in den Wald. Da grabe ich mir eine Grube, stelle mich selbst hinein und gieße mich. Ich weiß, dass es funktioniert – ich muss nur noch dran glauben. Wenn erst die ersten zarten Würzelchen zwischen meinen Zehen wachsen, und aus meinem Nabel und meinen Achseln und Ohren und Nasenlöchern duftende Blüten sprießen, und wenn dann all die kleinen Bienchen und Hümmelchen kommen und mich bestäuben – – – dann tschüss, ihr Affen, ihr könnt mich mal im Wald besuchen. In dreihundert Jahren, wenn eure Löffel lange verrostet sind, recke ich immer noch stolz und saftig mein grünes Haupt in die Höh, und ich weiß, dass alles Unglück dieser Welt nur daher rührt, weil ihr Menschen unfähig seid, still in euerm Zimmer zu hocken.

CHEFARZT: Nun machense mal nicht das Treiben verrückt, Herr Dr. Grünstein. Die Schwester ist schon mit dem Bleitropf unterwegs, da kriegen wir wieder etwas Schwerkraft in den Wanst. – Na hoi! Was find ich denn hier? Haben wir uns wieder nächtens unerlaubt entfernt? Wir wissen doch ganz genau, was es da gleich wieder hagelt?

BEIDE: Valiumbad!?!?!?!


Beckert/Wolff 1993; unveröff.

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