Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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EUROPA DER REGIONEN
Ein Science Fiction Feature

I
REPORTER: Der immense Aufwind populistischer Strömungen lässt europaweit einen politischen

Paradigmenwechsel erahnen: Zurück ins 19. Jahrhundert, wo die Nationalstaaten das Licht der Weltpolitik erblickten. Ich habe mich vor Ort in eine besonders angespannte Krisenregion begeben, um der aktuellen Lage auf den Zahn zu fühlen – ins Vogtland. Der Horizont steht in Flammen. Aufständische Horden von bewaffneten Separatisten streifen durch die Wälder. Ich habe eine Partisaneneinheit beim Pilzesammeln überrascht – Herr Partisan, wo verläuft denn momentan die Front?

PARTISAN: Das könnt’ eich so passen, dass ich militärische Geheimnisse ausplaudere!

Aber so viel ka’ ich sag’n: Von der Göltzschtalbrück’ über Irfersgrün, Stützengrün, Rittersgrün,
Poppengrün, Schreiersgrün, Pfaffengrün, Fröbersgrün über die Syratalbrücke’ zur Elstertalbrück’.

REPORTER: Und welches sind Ihre Forderungen?
PARTISAN: Mir heern erst auf, wenn die aa aufheern.
REPORTER: Und wer sind die?
PARTISAN: Des wass ich net so genau. Ich nehm’ an, die annern.
REPORTER: Sie müssen doch wissen, wofür das Blutvergießen gut sein soll …
PARTISAN: Mir kämpfn für unner Freiheit!
REPORTER: Welche Freiheit?
PARTISAN: Für die Freiheit von Musikwinkel mit grüne Klöß und Plauener Spitze. Mir tunne uns itze

nimmer auf der Nas’ rumtanzen lassen von denne ihrn globalen Zeich.

REPORTER: Was bitte verstehen Sie unter „globalen Zeich“?
PARTISAN: Global is, was net lokal is. Wenn ich scheißen muss, geh ich im Lokal aufn Lokus und

net irgendwie global aufn Globus …

REPORTER: Und was wollen Sie nun machen?
PARTISAN: Grenze dicht! Wissen Sie, Wernesgrüner, unnere Hausmarke, hat früher scho emal

„Grenzquell“ gehaaßn. Unnere Altvorderen wussten nämlich genau, wo Ende im Gelände is.

REPORTER: Und woher nehmen Sie die Gewissheit, dass das gut gehen wird?
PARTISAN (macht das Victory-Zeichen): Ganz klar: Mir gewinne!

Vogtland gleich Victory – das steht bei uns auf jedem Nummernschild.

UNSRE HEIMAT das sind nicht nur die Städte und Dörfer
Unsre Heimat ist auch all der Dreck auf dem Weg
Und das Grün in dem Wort Pfaffengrün
Und das Rot in dem Wort Rodewisch
Hier hab ich immer Heimspiel
Hier herrscht Inzucht und Hausordnung
Und wenn ich bergauf fahre, weiß ich:
Aha!!! – Gleich gehts wieder bergab!
Denn Heimat ist da, wo, wenn ich über die Straße gehe
mir alle hinterherrufen: HAU AB!

II REPORTER: Eine Woche später treffe ich meinen Lieblingspartisan im „Krug zur grünen Grenze“.

Herr Partisan, es wird gemunkelt, Sie wollen rund ums Vogtland eine Mauer errichten?

PARTISAN: Mauer is out! Mir nemme Maschendrahtzaun, da ka’ mr durchgucken. Und statt

Selbstschussanlagen pflanzen wir Knallerbsensträucher.

REPORTER: Es heißt, euer Separationsrat in Plauen habe bereits den Euro abgeschafft?
PARTISAN: … und dafür den Bambes eingeführt.
REPORTER: Den was?
PARTISAN: Den Bambes – Kartoffelpuffer, das vogtländische Nationalgericht.
REPORTER: Nationalgericht? So was isst man doch.
PARTISAN: Genau: Ein Bambes isst gleich ein EURO.
REPORTER: Ach. Und wenn ich die Hälfte abbeiße, sind’s nur noch fünfzig Cent oder was?
PARTISAN: Cent? So was nemme mir net nei’ ne Mund. E’ halber Bambes is e’ halber Bambes –

eb’n weil da de Hälft’ abgebissen is.

REPORTER: Und wenn euch die Kartoffeln ausgehn? Dann ist doch Ebbe in der Pfanne?
PARTISAN: Da sieht mr’s wieder, ihr habt keine Phantasie. Da koch’ mir eb’n irgendewas anners: Neunerlei mit Worscht und Sauerkraut,

oder mir pflücken Vogelbeeren oder braten uns e’ Moosmännl.

Denn hier ist MEINE HEIMAT
Wo ich alles esse, weil ich alles kenne
Alle Pilzstellen und alle Schwarzangelteiche
Alle Schlaglöcher, alle Abkürzungen
Alle Blitzer und alle Politessen
Denn die heißen alle gleich, nämlich blöde Kuh
Heimat ist, wo der Geruch nicht stinkt
Und wo, wenn ich über die Straße gehe
mir alle hinterherrufen: HAU AB!

III REPORTER: Eine Woche später treffe ich meinen Lieblingspartisan in der Kegelbahn,

wo das neue vogtländische Parlament tagt, und habe ihn vorm Klo abgefangen.
Hallo, Herr Patriot – oder muss ich sagen: Herr Volksvertreter?

PARTISAN: Sag was de willst, aber mach’s kurz, ich muss schiffen.
REPORTER: Also Herräääh – was gibt’s Neues?
PARTISAN: Beim Frühschoppen im Seperathaus habn mir ein Referendum gemacht und unnere neue

Verfassung verabschiedet, da könnt’r euch warm a’ziehe mit eierm Europa!

REPORTER: Und was steht in eurer Verfassung?
PARTISAN: Nur das Nötigste. Lesen tut ja heit’ eh kaaner mehr:

§ 1: Plauen bleibt Plauen.
§ 2: Vogtländer, die Vogtländer sind, bleiben Vogtländer – und
§ 3: Vogtländisch wird Hochdeutsch und Deutsch wird ausländisch –
Das heißt: Hasen haaßen Hosen, und Hosen haaßen Husen.

REPORTER: Und wenn sie euch jetzt einfach absetzen oder verbieten?
PARTISAN: Darauf sei mir bestens vorbereitet. Mir habn bereits die vogtländische Marine gegründet.

Der Ausflugsdampfer „Talsperre Pöhl“ haaßt itze „Panzerkreuzer Max Hölz“, die Syrauer
Drachenhöhle wird zur Wolfsschanze ausgebaut, und alle Hochsitze werd’n MG-Nester.


Denn hier ist MEINE HEIMAT
Wo ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist
Und wo alle genauso reden wie ich
Denn hier sind alle meine Pappenheimer
Und meine Hühner, die wir selber treten
Heimat ist, wo, wenn ich über die Straße gehe
Mir alle Gockel hinterherrufen …


IV
REPORTER: Drei Wochen später! Hallo, Herr Abgeordneter, Gratulation, das Vogtland hat sich ja

wirtschaftlich wider Erwarten gut entwickelt.

PARTISAN: Was haaßt hier „wider Erwarten“? Das war doch klar wie Kloßbrieh!
REPORTER: Sie haben mittlerweile zu allen separatistischen Bewegungen weltweit diblablamatische

Beziehungen aufgenommen …

PARTISAN: Das steht ja schon geschrieben, dass der Vogtländer und der Mensch im Besonderen

nicht alleine sein soll. – Und alle, die wir anerkennen, erkennen ja auch uns an.
Wie heißt es doch im Weltseparatistenmarsch:

Unser Lied die Ländlegrenzen überfliegt: Basken, Montenegriner und Korsen Tiroler, Osseten, Awchasen und Sorben Schotten, Wallonen, Siebenbürger und Samen Oberbayern, Niederbayern, Unterbayern – und Flamen Katalanen, Lombarden, Bretonen, Walisen Badener, Elsässer, Franken und Friesen – und Griechen.

REPORTER: Ach! Sogar Griechenland? Die Wiege der vogtländischen Kultur?
PARTISAN: Ich erwähne nur den Augiasstall in Auerbach und das Orakel von Brat Bambach!
REPORTER: Wenn ihr jetzt alle hinter euerm Gartenzaun hockt, wo bleibt denn da die europäische

völkerverbindende Idee?

PARTISAN: Des is ja der Fortschritt, e’ Idee brauchn mir itze fei gar nimmer. Dr Vogtländer is praktisch

veranlagt und sagt sich: Ideen hatt’ mr genug, und drva gehabt hamm’r nischt. Itze habn mir unnere eigne Bambesbank, mir hamm e’ florierende Pilzindustrie und verkaafen weltweit Knollenblätterpilze zur Sterbehilfe an die Hospize. Net ze vergessen: Brambacher, Wernesgrüner, Plauener Spitze – das sagt ja dr Name scha’, Millionen komme do rei. Des brummt wie Sau.

REPORTER: Sehen Sie das Ganze nicht etwas zu rosig?
PARTISAN: Gar net! Ich ho’ extra untertriebn! Mir werdn uns vor Erfolg net retten könne.

Wenn mir in Morgenröthe-Rautenkranz – – allaa scha die Raute, Sie wissen, was ich meine –,
da baue’ mir eine Rautenabschussrampe, ääh eine Raumstationenabschussraute,
und da macht der Vogtländer nauf in de Umlaufbahn und zieht da obn Kreise!
Ich sage nur: O-r-b-i-t !
Vogtländisches Satellitenfernsehen weltweit!
Pilzberatung auf allen Kanälen – das hat Zukunft!
Da wird aus der Morgenröthe eine Mittagssonne,
die geht nie mehr unter – aa nachts net!
Da glühe’ de Solarmodule!
Da haut’s weltweit de Sicherungen naus –
bloß bei uns net.

REPORTER: So viel, meine Damen und Herren, zum europäischen Einigungsprozess.
PARTISAN: Genau! Macht ihr mal immer so weiter mit eurem Gebrüssel, euerm Kapitalismus

und Imperialismus und Kolonialismus, euerm Lobbyismus und Militarismus und Milliardismus!
Aber – wie sprach schon der alte Häuptling der Indianer:
Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist,
werdet ihr festellen, dass man Geld nicht essen kann.
Aber bei uns kann man Geld essen – als Bambes mit Apfelmus, Speckwürfeln und Knallerbsen.
Und als Nachtisch gibt’s dann Schokoladen-Putin mit Familiensoße!


MEINE HEIMAT –
Das ist da, wo ich schnell mal zur Sau werd
Wenn’s mal wieder so stinkt, als ob’s angebrannt riecht
Meine Heimat will ich für mich alleine
Nur haben und mit keinem teilen
Denn das nervt mich von morgens bis abends
Und von Sonnenunter- bis -aufgang
Und das gebe ich Ihnen auch schriftlich:
Meine Heimat ist da, wo der Platzhirsch laut röhrt
und beim Beten den Muezzin stört


Beckert/Wolff 2018; unveröff.

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