Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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DER GARSTIGE SKISPRINGER

Immer wenn Skispringen im Fernweh läuft
Steigt er in seine Wuchtbretter
Schwingt sich auf die Anrichte
und federt in die Hocke:
Links der Gummibaum
Rechts der Hydrotopf
Von der Stehleuchte in abenteuerliche Schatten gemantelt
Kauert er dem versteinerten Antlitz seiner Gattin gegenüber

Hoffentlich sticht er nicht in die Stores (denkt sie)
Hoffentlich schrammt er nicht den Schrank (denkt sie)
Hoffentlich knautscht er nicht die Couch (denkt sie)

Aber nein!
Wie eine Eins steht er, sportlich
Wie ein Recknagel im Föhn
Wie ein Weißflog so schön
Wie der Adler, der Spatz und der rote Milan
Wie die Schwalbe so schwebend wie der Kormoran
Wie der Habicht gar, wie ein sterbender Schwan
So edel, so plustergebläht wie ein Hahn

Springen springen springen
Wie ein Floh auf den Hund
Springen springen springen
Wie ein Fluch aus dem Mund
Mensch sei kein Frosch, riskier eine Lippe
Sei wie der Lemming auf zugiger Klippe

Springen springen springen
Es wachsen dir Flügel wie dem Schneider in Ulm
Springen springen springen
Grummelt im Magen dir auch der Mulm
Spring wie das weiße Rössel von Karpow
Oder das schwarze von Kasparow

Dann fläzt der garstige Skispringer
Im Sessellift am Schanzentisch
Und er hebt den schlimmen Finger
Wenn er schlechte Noten kriegt
Denn dann, denn dann, denn dann
Entpuppt sich der Tyrann!

Kind und Kegel stemmen den Spiegel
In dem er seine Posen probt
Vor Angst geben alle die Höchstnote –
Und wehe, wenn nicht!
Hinter ihm klirrt das Aquarium –
Pfatsch, fällt es um
Dann springt er eine Kehre –
Und die Box kommt in die Quere
Dann geht er in die Hocke
Und die Hausbar macht die Flocke

Hoffentlich kriegt er einen Krampf (denken alle)
Hoffentlich bricht er sich das Genick (denken alle)
Hoffentlich ist es bald vorbei (denken alle)
Mit der Heimskispringerei

Aber nein!
Wie eine Eins steht er auf den Brettern
Die seine heile Welt bedeuten
So ähnlich wie bei andern Leuten
Denen andre Dinge was bedeuten

Er fliegt wie der Geier, wie der Goldfasan
Wie der Albatros und der Pelikan
So wie Amsel, Drossel, Fink und Star
Und die ganze Vogelschar

Springen springen springen
Wie ein Frosch in den Hals
Springen springen springen
Wie Hans Dampf auf der Balz
Mensch sei kein Hase, kein Zimpernickel
Hat dich auch flatternd die Flugangst am Wickel

Springen springen springen
Wirst du auch deiner Familie zur Qual
Springen springen springen
Sei wacker wie Otto von Lilienthal
Wachs deine Bretter mit Bienenscheiße
Und begib dich auf deine Winterreise

Der garstige Skispringer weiß was er will
Es ziert ihn geballte Ignoranz
Und wehe, die Mitmenschen halten nicht still
Dann geht er allen auf den Kranz
Denn dann, denn dann, denn dann
Entpuppt sich der Tyrann

Der Hausarzt befühlt ihm die Stirn –
O du armes Gehirn
Dann betrachtet er das Kinn –
Auch das ist hin
Und für die Schneidezähne
Braucht es völlig neue Pläne

Gott sei Dank ist’s nun vorbei
Mit der Heimskispringerei –
Doch mitnichten die Gefahr
Weil ein Sprung in seiner Schüssel war

Beckert/Wolff September 1994

veröff. auf Der Durchbruch (1996)

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