Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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DE SADE
oder DIE DREI TEESORTEN DER REVOLUTION

Wir schreiben das Jahr 1789.
Donatien Alphonce François Marquis de Sade sitzt in der Bastille,
achtzehntes Untergeschoss (ohne Moderabzug) am Morgen seiner Hinrichtung.

Draußen arbeitet die Revolutionsgerichtsvollzugsmaschine – Schschschtt!

Der Marquis träumt von der Freiheit (Liberté),
insonderheit von der völligen Freiheit (Liberté totalité),
der individuellen, der geistigen, der sexuellen, der sonstigen im allgemeinen und überhaupt (Liberté portemonnaie).

Die Marquise von O. hat ihm einen Kuchen geschickt und eine Gitterfeile eingebacken.
Der Marquis im Schaffensrausch schreibt von einer Freiheit ohne Zügel (Liberté ohne Limité),
von der Freiheit der Andersrumdenkenden,
von der kaum unglaublichen Leichtigkeit des Nichts
und verschlingt justament verzückt den ganzen Kuchen – die Feile inklusive.

Sschtt! – quietscht im Hof das nagelneue Schafott.

Noch drei Stunden bis zur Hinrichtung und ein akutes Verdauungsproblem der unwohlfeilen Art.

DE SADE
Auftritt des Henkers von Paris mit der Henkersmahlzeit:

’allo Marquis, es ist serviert!
Die Schnecken sind geschliert,
die Frösche sind paniert,
das Gnadenbrot geschmiert!

Aber der Marquis hat Wanstrammeln und windet sich um seine Fußkugel.

Als Vorspeise: Soufflé à la Richelieu in Aspikmarinade!

Oh oh oh – dem Marquis bersten die Magenschleimhäute

Dann Perlhühn à la Jeanne d’Arc in Trüffelbiscuit.

Ui ui – das Werkzeug schiebt sich quer in den Dickdarm.

Dazu reichen wir einen trockenen Jacobiner mit ’artkäsekorken – grande bouquet!

Rizinüs wäre mir lieber, fleht der Delinquent.

Rizinüs? Aber ’allo, Marquis, wo bleibt Euer güter Geschmack?

Guter Geschmack ... Der Marquis lächelt säuerlich.
Dann greift mir wenigstens einmal tief in den Arsch!

He?

Das ist meine letzte Wünsch!

Alte Sau! entrüstet sich der Kopfkürzer.
25 Jahre Kerker und nichts gebessert,
Ja, Daumenschraube, Streckbett, Vierteilen, Blei ins Ohr
– darüber ließe sich reden,
aber deinen Schweinkram besorg dir selber – du merde!

Schschschtt – sang im Hof die Halsschneidemaschine.

Auftritt Pater Meinhoff zur letzten Ölung.

Ommm!

Mit dreifaltiger Soutane und angeklebtem ’eiligenschein vom ’ügenottenkloster zum aufgerichteten ’ohlkreuz:

Ommm – Zeit zur Beichte, mein Sohn. Ommm – sonst gibt’s kein Öl.

Aber der Marquis bockt: Ich bereue nichts!
Non, je ne regrette rien ...
Ein Lächeln erhellt sein verhärmtes Antlitz in Gedenken an die letzten dreitausend Orgasmen.
Dann ist er wieder da der Schmerz – stechend, quälend, unaushaltbar:
Ihr habt nicht zufällig eine Hand frei, Pater?

Zum Beten immer, mein Sohn! –

Wer redet hier von Beten! – Um mir flügs in den Arsch zu greifen ...

Du Schweinepriester, du sollst in der ’ölle schmoren!
Du dekadente Pottsau, du!
Ich hätte nicht übel Lust, dir deine versauten Gedanken herauszuexorzieren!

Schschschtt – sang im Hof das Freiheitsbeil

Der Marquis, schmerzgequält, versucht nun darmanregende Massagen.
Handstand, Kopfstand (noch geht’s) – aber nichts hilft.
Die Feile wandert durch den Zwölffingerdarm –
Daumen – Zeigefinger – Ringfinger – kleiner Finger – wieder zurück – Mittelfinger vergessen,
dann in Richtung Dünndarm.

Schschschtt – sang die Rübenmähmaschine.

Auftritt des Unterschließers mit einer Eil-Depesche von Danton:
Pardon, kann zu Deiner ’inrichtung nicht kommen.
Das Badewasser – Eau de Toilette – wird kalt.
Bis bald, c’est la vie – Dein Dantoni.

Der Marquis faucht: Das ist mir vollkommen egalité!
Kannste dir in den Arsch schieben, den Wisch.
Du ääääh äh äh ... apropos Arsch schieben ... ääh
Ob er, der verehrte Bürger Unterschließer, nicht vielleicht mal so nett wäre ...
Naja, ihm läge da was die Quer im Wanst,
dass er das mal, äääh von hinten durch den Darm ... na, er verstehe schon.

Was? Schon wieder, du perverse Schwuchtel! Du Drecksack! Du Merde!
Es wird Zeit, dass du endlich unters Messer kommst!

Schschschtt – pfiff im Hof die Runkelsense

Der Marquis windet sich am Boden.
Die Ratten quieken.
Die Asseln wuseln.
Die Holzdildos knarren.
Kalter Schimmel rieselt in den bereits ausrasierten Nacken,
während der Marquis versucht, nun selbst Hand anzulegen.
Hmmm! Uff! Ooh! – Vergebens!
Entweder ist der Arm zu kurz oder der Darm zu lang.
Wie soll er mit diesen Krämpfen bäuchlings auf dem Köpfböck liegen?
Merde merde merde.

Die spitze Marquise muss her! murmelt der Gemaledeite, und mit ihrem kleinen zarten Arm in meinen ...
Aber die kleine geile Schlaraffe ist sicher wieder unabkömmlich auf ihrem Lustschloss.
Die versaute Provence treibt’s mit den Viechern auf der Tenne,
komplett mit Öl eingeschmiertund in Kleie gewälzt,
und dann die ganze Gänseherde drüber!
Die sogenannte Marquise von Oh Oh Oh ...

Da – Hüfegetrappel übers Köpfsteinpflaster.
Der reitende Bote des Revolutionsrates eilt mit rauchenden Sohlen über glitschige Bohlen hinab in die Kasematte
und entrollt feierlich die Gnadenrolle – von Robbespierre persönlich versiegelt:

Hiermit wird allergnädigst verfügt,
dass der Marquis Graf Vicomte Donatien Alphonse François de ...

Wenn ich Euch kurz unterbrechen darf, junger Mann,
würde es Euch etwas ausmachen, mir mal nonchalant klaftertief in den Arsch zu greifen?

He? – der Bote stutzt kurz.

Erinnert sich dann aber des musketierischen Leitsatzes „Einer für alle für einen“.

Aber bitte, Herr Bürger Marquis, wenn isch dir damit eine’ Gefalle’ tun kann!

Krempelt seine Stulpen hoch,
rammt ratz-batz seinen beiden haarigen Arme
bis zur Achselhöhle in die Darmflora des Gepeinigten und hält –
ehe noch der Marquis so recht losstöhnen kann –
zur eigenen Überraschung die zwanzig Zoll lange Feile in der Hand!

Aber ’allo, qu’est-que ce, Marquis – Ihr habt ja nur Werkzeug im Wanst!
Und ich dachte schon, Ihr seid schwül.

Eujeujeu! blafft der Marquis erleichtert, fick dich selber, du ’omo!
Oder haben wir beide schon einmal Fraternitee zusammen getrunken?

Woraus deutlich wird, dass der feine Herr keine allzu vornehme Kinderstube genossen haben kann (oui oui!),
wiewohl er in seinen Büchern immer gerne mal so tat,
und dass ein Gemisch aus Undank und Oberwasser
Die revolutionären Grundsätze unversehens außer Kraft setzen kann.
Das Duo Sonnenschirm distanziert sich – jetzt, wo unser Stück beinahe vorbei ist –
von sadistischem Schweinkram jeglicher Couleur,
obwohl die Französische Revolution ansonsten schon o.k. war, schon weil sie Leipzig
ein so imposantes
und heldenhaftes,
weithin sichtbares,
hochaufragendes
Denkmal beschert hat.

Non regrette rien – non, je ne regrette rien.
Was geschehn, ist geschehn,
und ein’ Kopf kann man nicht mehr annähn.

Wir bereuen nichts, nein, wir bereuen nichts.
Ist der Kopf erst einmal verlorn,
dann übernimmt der Arsch die Ohrn.

Beckert/Wolff 03/08/2005

veröff. auf Podeststücke (2006)

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