Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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MORITAT VOM SPÄTEN MÄDCHEN
oder DER KEUCHHEITSGÜRTEL

Es war mal ein blauäugiger Weltverbesserer,
der begeilte ein ostdeutsches Mädel.
Sie war die Größte nicht
und hatte vor ihrer Geburt schwer gelitten.
Unser Mann wollte das Beste für sie,
denn ihr Bestes war für ihn gerade gut genug.
Doch bald schon begann sie zu motzen
und wollte sein Bestes nicht haben.
Ich will freiern, schrie sie,
rannte kopfüber in den gerade erfundenen Fernseher,
trommelte auf die Badewanne
und schnäbelte mit ihrem Unsittich.

Meine Tochter ist mein Leben,
fistelte der vormundschaftliche Erzieher,
und bevor hier ein irgendhergelaufener Schweinepriester
mit dem Schwanz wedelt und dich, meine Tochter,
rummachen will, geht das doch lieber auf keine Kuhhaut.
Sieh diese geilen Böcke dorten draußen!
Sexisten in güldenen Gondeln,
Pornographen auf silbernen Fahrrädern,
die wolln doch alle nur das Eine,
und das am liebsten mehrmals! –
Und er gab ihr, was er dachte,
dass sie braucht zum Glücklichsein.
Doch wer ganztags in die Sonne guckt und ananascht,
kann von Potenzschwund ein Lied singen:
Die Hose, die Hose war tot — Halali!

Er bekam es mit der Angst
und ließ misstrauisch einen Keuchheitsgürtel an sie legen aus purem Beton,
wegen der Freier in der Freiheit dorten draußen.
Sie protestierte im Rahmen des Möglichen:
Er passt mir nicht, er sieht schlecht aus, er schurft!
Die Freier aber waren wie die Yuppies,
kritzelten kleine Grafickereien auf den Beton
und schossen mit spermatisierten Brieftauben.
Zur Sicherheit ließ der Übervater
den Keuchheitsgurt des Nachts beleuchten.

Nun kamen in Scharen vergnügungssüchtige Voyeure,
kletterten mit Blitzlichtern auf kleine Leiterchen
und schwenkten hightechnische Ejakulatoren.
Dabei kitzelten sie das altbackene, kinderlose Mauerblümchen
an den Schwachstellen,
so dass sie ächzte in juckigter Verzücktheit.
Und just wuchs in ihr,
was keiner für möglich gehalten hätte,
ein eigener Wille –
und wuchs und wuchs und wuchs und wuchs.

Da hört sich doch wohl alles auf!,
rieselte der gealterte Kalkofen angestochen:
Was habe ich nicht getan, Undankbare,
für unseren paradiesischen Garten Öden! –
Und er schleifte sie zum Exorzisten,
um ihr den Spaß auszutreiben,
denn erst wenn aller Spaß aufhört,
hätte seine liebe Seele Ruh.
Doch sie verstockte:
Zum Exorzisten will ich nicht,
nein, zum Genossen Exorzisten will ich nicht! –
Da ärgerte er sich schwarz,
bekam eine Gallenkohle
und verlor für immer seine Heizkraft.

Im elften Monat November war’s,
da sprengte der Umstand das Kleid.
Der Keuchheitsgurt zerbarst,
und die Gürtelrose, die Gürtelrose war rot.
Nun war alles offen!
Und es kam genauso,
wie es der Große Gynäkologe in seinem Hauptorakel geunkt hatte:

Diese Spätgeburt wird haben
grüne Ohren, keine Zähne,
Asthma, Aids und stets Migräne,
Haarausfall und Schuppenflechte,
linke Hände, Rechtschreibschwäche,
Augenklappe, braunen Star,
Gehirnerweichung unheilbar,
Arbeitsunlust, Wandernieren,
einen Hang zum Diskutieren,
sie wird nach Koks brüllen,
Begrüßungsgeld verlangen,
und ungeteilte Freude wird schwerlich aufkommen können.

Die Hebamme erklärt ihren Rücktritt,
der Kreißsaal ist verplompt,
nur die Besamer tun weiter, was sie nicht lassen können,
egal was hinten bei rauskommt.
Das späte Mädchen will Alimente
und würde gern unter die Haube kommen.

Und die Moral von der Geschicht –
ein Spruch für Käptn Demo,
passt dir dein Zuhause nicht,
Geh doch nach San Remo.


Beckert/Wolff 01/1990

veröff. auf Flucht nach vorn (1990)

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