Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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HERBST

1 Wieder so ein Herbsttag wie im bunten Bilderwald
Mantelschöße bauschen in der Bö
Es wird bereits im Schritt und in der Nasenscheide kalt
Ein Waidmann wildert über die Höh
Man hält ein letztes Kaffeekränzchen unterm Weinlaub ab
Schwertertassen klirren im Wind
Der Drahthaar klefft die Amseln von Frau Studienrätins Grab
Ein nabelfreies Gör kaut Peppermint

Kehrreim
Herbst – die Damen würfeln Zucker in die Kännchen
Herbst – der pensionierte Tierarzt hasst die Menschen
Jungfern turteln munter im Altweibersommer
Gefühle werden neu verkabelt
Und Kaminholz aufgestapelt
Herbst – die Schneemannsbraut putzt Nasenmöhren
Herbst – im Gegenwind entzünden sich die Blasenröhren
Das Sparschwein geht schon mal die Heizung zudrehn
Der Spanner wird nun lange kein Tattoo sehn
HERBST

2 Kastanien purzeln auf die Köpfe eiliger Passanten
Farbe platzt vom Plastekorbgestühl
Es regnet in den leeren Hut des Straßenmusikanten
Der Kleptomane freut sich schon aufs Weihnachtsmarktgewühl
Das Arbeitsamt bezuschusst Räucherkerzen zum Advent
Im Wartezimmer lauert ein Infekt
Die Sonnenschirmfabrik geht im November insolvent
Die Kohle wird im Kofferraum versteckt
Punschgemäß hebt Glühwein unsre Stimmung übern Durst
Vergessen ist, was nicht zu ändern war
Verlassen im O-Tannebaum ein Wandervogelhorst
Und aus den Wiesen steigt der Nebel wunderbar wunderbar wunderbar

Kehrreim
Denn es ist Herbst – der Bodenfrost erwürgt die letzte Aster
Herbst – aufs Altenteil kommt Rheumapflaster
Jungfern turteln munter im Altweibersommer

Der Stehimbiss macht winterfest
Der Olo friert am Hintern fest
Herbst – nun wirkt das Entlaubungsmittel
Herbst – der Zeckenjäger schwingt den Taubenknittel
Wir wühln im Sommerschlussverkauf nach Handschuhn
Der Depressive will sich wieder etwas antun
HERBST


Beckert/Wolff 1993, später mehrfach umgeschrieben

veröff. auf Duolektik (2010)

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