Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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G ACHT
(Das Wunder von Heiligendamm)

1 Es wehn kalte Winde
Von Warnemünde
Her übers Meer
Am Strand im Karton
Ein winselndes Kind
Der Strand ist leer
Und niemand
Der es hören kann
Es rauscht das Meer
Im weißen Sand
Von Heiligendamm-damm-damm-damm

2 Kam mit dem Boot
Weit her übers Meer
Das Boot liegt am Strand
Kieloben und leer
Möwen schrein
Im Vollmondschein
Am menschenleeren Strand
Die illegalen Einwanderer fahrn
Schwer bewacht
Durch die Nacht
Mit der Schmalspurbahn
In Gewahrsam
Nach Bad Doberan
Bei Heiligendamm-damm-damm-damm

3 Junge Mutter
Die mit ihrem Stamm
Nach Bad Doberan
In die Freiheit kam
Sie weint und schluchzt
Und schreit und fleht
Doch keiner da
Der sie versteht
Da der Dolmetscher immer schon
Sechzehn Uhr geht
Im Asylantenkahn
Von Bad Doberan
Bei Heiligendamm-damm-damm-damm

4 Das Findelkind winselt
Zum Windelerweichen
Doch keiner hört es schrein
Unterm fahlen Mond
Denn keiner wohnt
In Heiligendamm-damm-damm-damm

5 Da teilt sich das Meer
Und ein schneeweißer Bär
Tapst an Land übern Strand
Geschwommen kam er
Von Grönland her
Über das Meer
Greift nach dem Kinde
Mit zottigem Arm
Er hält es sicher
Er hält es warm
Er brummt
Es verstummt
Er streichelt’s
Bespeichelt’s
Beäugt es
Und säugt es
Bezutscht es
Und knutscht es
Und taucht mit ihm unter
Und das war das Wunder
Von Heiligendamm-damm-damm-damm

Beckert/Wolff 2008

veröff. auf Duolektik (2010)

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