Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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DIE HASENOHREN-DEHNANLAGE
(aus: Der brachialromantische Hausapotheker VI)

PRÄDIKAT TRAUMHAFT!! oder RUMHÄNGEN WIEDER „IN“

Das Ostervergnügen für die ganze Familie!
DIE Sensation aus Baden-Württemberg!
Kostenloser Service für den ostdeutschen Angsthasen,
um ihn dem westdeutschen Riesenrammler anzugleichen!

KARFREITAG ERÖFFNUNG!!
Rechtzeitiges Kommen sichert beste Hängeplätze.

Das TÜF-geprüfte Verfahren ist streng wissenschaftlich und geht von der These aus, je größer das Ohr, desto höher die staatsbürgerliche Hörigkeit, desto besser lassen sich Dinge hinter die Ohren schreiben, desto besser kann der Ostler seiner Rolle als Hase in der Wolfsgesellschaft gerecht werden.

MERKE: Was wäre der Wolf ohne den Hasen!

Garantierter Ohrenzuwachs pro Ganztagshängung 2 bis 3 Zentimeter!
(Klammerbeutel zum Pudern ist mitzubringen!)


Hasenohrendehnanlage

Ein Abhängebericht

Vergangenes Wochenende fand der Probelauf der neuen vom Brainstorming-Institut Stuttgart gesponsorten Hasenohren-Dehnanlage statt. Die Tests verliefen zur vollsten Zufriedenheit sowohl der Betreuermannschaft, als auch der vom Arbeitsamt zur Verfügung gestellten Versuchskaninchen, so dass die Anlage ab Karfreitag zehn Uhr der zu allem entschlossenen sächsischen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nachfolgend der Testbericht, den Willy Wunderwald, 7061 Leipzig, 47 Jahre (davon eines arbeitslos) am Ende des Probelaufes verfertigte.

      „Meine privatwirtschaftliche Lage ist seit meiner Entlassung so prekär und hoffnungslos, dass ich nur noch an Wunder glaube. Eines davon konnte ich nun mit eigenen Augen und Ohren in Mutzschen erleben. Und ich sage mir, wenn wir Deutschen noch zu solch außerordentlichen Leistungen fähig sind, habe ich keine Angst um die Zukunft der Nation. Gerne will ich meine Arbeitskraft für die nächsten Jahre auf Eis legen und meine Familie mit Mischbrot und Muckefuck ernähren, wenn ich damit dem Kandesbunzler und seinen heroischen Aufbauplänen fromme. Ich gestehe, ich habe nicht immer so gedacht. Noch vor zwei Wochen nahm ich an einer Antibunzlerdemo teil und entgegnete beim anschließenden Umtrunk im Fröhlichen Rülpser einem Kollegen, der behauptete, es sei eine Schande, gegen den Bunzler, den wir selbst gewählt hätten, aufzumarschieren, dass wir früher ja auch immer gewählt hätten, obwohl keiner dran glaubte. Das wäre bei uns Ostlern eben so drin. So einer war ich!
      Aber da kam das Angebot vom Arbeitsamt zur Teilnahme an einem Bildungswochenende zur Hebung der Arbeitslosenmoral. Ich sagte zu, weil es angeblich einen Zuschlag geben sollte. Wir fuhren, zirka hundertdreißig Leute, nach Mutzschen auf eine abgewickelte Hopfenplantage. Der Objektleiter stellte uns einen Psychologen von diesem unaussprechlichen Stuttgarter Institut vor, welcher uns einleuchtend die Vorzüge des Ohrenlangziehens erklärte. Danach bekam jeder zwei Klammern, einen Verpflegungsbeutel und ein Hängegewicht je nach Körpergröße. Ich stieg auf den Hocker und klammerte mich an, was anfangs sehr schmerzhaft war. Ich gestehe sogar, einen Moment lang in meinem Glauben an den deutschen Pioniergeist erschüttert gewesen zu sein. Als mir dann noch der Betreuer den Hocker weg zog, dachte ich, es reißt mir die Ohren mit der Wurzel aus. Es war ein Schmerz, als klappe die Fontanelle auf, und die Hirnlappen, mit denen ich just dies dachte, glitschten mir feuchtwarm über die Wangen. Aber natürlich passierte nichts von alledem. Man kettete mir das Fußgewicht an, was zwar das unangenehme Ziehen noch verstärkte, mich aber bereits erkennen ließ, dass die Erlangung eines unerschütterlichen Staatsbürgerbewusstseins ein schmerzhafter Prozess sei, der lediglich eine extreme Opferwilligkeit voraussetzte. Ich wunderte mich nur, dass mir mein Bunzler das nicht schon im Herbst 89 gesagt hatte.
      Nach einigen Stunden untätigen Rumhängens wurde rings um meinen Schädel alles angenehm taub. Ich schaute, so gut es ging, entspannt in die Runde, machte ein paar lockere Späße mit meinem Hängenachbarn aus Borna, beherzigte aber den Rat der Helfer, nicht in Lachen auszubrechen, denn wie leicht hätten sich durch Erschütterung die Klammern lösen und uns Versuchskaninchen zwei Meter in die Tiefe stürzen lassen können.
      Das Wetter war bis zum Nachmittag vortrefflich. Über Lautsprecher wurden Heino- und Roger Whittaker- Weisen eingespielt, aufgelockert von Genscher- und Kohlreden. Alle drei Stunden erschien ein Mitarbeiter mit einer Messlatte, um zu prüfen, ob die Ohrendehnung erfolgreich fortschreite. Bei mir waren es bis sechzehn Uhr bereits zweikommaacht Zentimeter, was mir nicht geringes Lob eintrug. Ich war so stolz, dass ich mir das Fußgewicht verdoppeln ließ. Die Umhängenden sparten daraufhin nicht mit Lobeselogen. Ich malte mir aus, was ich mir bei solch gewaltigen Löffeln fürderhin alles hinter die Ohren würde schreiben können, und der Stolz, ein Deutscher zu sein, durchrieselte mich wie Kalk.
      Gegen achtzehn Uhr fing es an zu gewittern. Da die Anlage nicht überdacht war, wurden wir nass wie Galgenvögel. Vorübergehend kam Missstimmung auf. Erst das Einspiel des Deutschlandliedes straffte unsere Körper. Wie groß aber war erst der Jubel, als sich bei der nächsten Löffelvermessung herausstellte, dass wir durch den Regen alle nochmal kräftig zugelegt hatten. Mir war zwar eine Menge Wasser in die Ohren gelaufen, so dass ich mir dauernd die Nase putzen musste (und ich gestehe, dass der Dauerschnupfen bis heute anhält), aber der Stolz, als man uns bei Sonnenuntergang von der Leine nahm, ließ uns alle Anstrengung vergessen. Gegenseitig zogen wir uns übermütig an den Ohren, wie es unsere Regierung nicht besser vermocht hätte, und alle vierundsechzig, die bis zuletzt durchgehalten hatten, meldeten sich stehenden Fußes zu einem Folgekurs an.
      Die Heimfahrt verlief ausgelassen. Nach Monaten ätzenden untätigen Herumsitzens hatten wir wieder einmal das tolle Gefühl, gebraucht zu werden, dem Staat dienen zu können und dem westlichen Standard einige Zentimeter näher gekommen zu sein.“


Beckert/Wolff 1990

veröff. (mit einer Abbildung) in der Wende-Zeitschrift DAZ (1990)

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