Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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DESTROYKA
oder Eine unbürokratische Amtshandlung

Personen: Wachtmeister Rabatz, Rudi Krakeel
Ort der Handlung: Ein Dienstzimmer 2. Ordnung (ohne Aquarium und weiße Tischdecke)
Hinter dem Schreibtschrein: Wachtmeister Rabatz, Sachbearbeiter für Entgleisungen im Zivilleben

RABATZ Der Nächste bitte!
KRAKEEL Bin ich hier richtig, Abteilung öffentliche Ärgernisse?
RABATZ Sie wünschen?
KRAKEEL Ich wünsche morgen Abend ein bisschen zu randalieren.
RABATZ Randalieren? Soso. Morgen Abend? Die Anmeldefrist beträgt zehn Tage, Bürger, das wissen Sie!?
KRAKEEL Nun seiense mal nicht so. Wir haben uns das gestern Abend in der Kneipe erst überlegt.
RABATZ Erst überlegt! Wir müssen das hier vielleicht auch noch bearbeiten! Wie denken Sie sich das
eigentlich? Ordnung und Sicherheit im Schnellverfahren oder wie?
KRAKEEL Ich denke, Sie sind mein Freund und Helfer, oder was wird jetzt?
RABATZ Nun bleibense mal ganz ruhig. Wir sind ja gar nicht so, wie wir immer aussehen.
Wie war noch Ihr Name?
KRAKEEL Krakel.
RABATZ Krakeel. Vorname?
KRAKEEL Rudi.
RABATZ Rudi wie Routine?
KRAKEEL Wie Ruine, ja.
RABATZ Wo soll das öffentliche Ärgernis stattfinden?
KRAKEEL Zur Abwechslung wollten wir mal die Thälmannstraße aufmischen.
RABATZ Die Thälmannstraße ist lang, Bürger.
KRAKEEL Na, so Ecke Liebknecht-Luxemburgplatz.
RABATZ Wieviele Personen?
KRAKEEL Ich und drei Arbeitskollegen.
RABATZ Eins plus drei. – Uhrzeit?
KRAKEEL Momentemaa, Herr Wachtmeister da muss ich kurz rechnen. Also die Kreisliga ist um Fünfe zu Ende, danach laufen wir rüber zum Scharfen Eck, sagen wir mal neun, zehn, zwanzig, dreißig Halbe und halbsoviel Kurze, da dürften wir dann gegen Halb Elf rausfliegen, anschließend rüber zur Thälmannstraße, das sind nüchtern anderthalb Kilometer, im Zickzack also knapp viere ...
Na, so Viertel Zwölfe, denk ich, könnten wir loslegen.
RABATZ Dreiundzwannigzichuhrfünnefzehn. Sehen Sie zu, dass Sie pünktlich anfangen, damit Sie gegen
Null Uhr fertig sind.
KRAKEEL Selbstverständlich, Herr Wachtmeister, wir wissen doch Bescheid.
RABATZ An welche Ordnungsfiesigkeiten im einzelnen dachten Sie?
KRAKEEL Na, eine ordentliche Bambule soll’s schon werden! Wenn wir einmal anfangen, nicht wahr.
RABATZ Ordentliche Bambule! Wir müssen das hier genau ausfüllen, Bürger! Punkt für Punkt, das ist Vorschrift, damit Sie hinterher keine Schwierigkeiten kriegen. Ich lese Ihnen jetzt den Vergehenskatalog vor, und Sie sagen mir, welche Krawallpunkte Sie im einzelnen in Anspruch nehmen möchten. Punkt eins ...
KRAKEEL Punkt eins, Papierkörbe umkippen, das nehm ich, schreibense auf: drei Stück.
RABATZ Punkt zwei, Rabatten zertrampeln ...
KRAKEEL Ja ja, machense ...
RABATZ Das geht neuerdings nach Quadratmetern und nicht mehr nach Stengeleinheiten. Also was denken Sie, wie viele?
KRAKEEL Hm. Nun ja, sagen wir mal, drei für Heinz, für den dicken Gerti fünfe, für den Meister zehne, der ist da immer ganz wild bei den Rabatten... Ach so, und ich noch – obwohl, ich habe eigentlich selber’n Garten.
RABATZ Achtezehne hätten wir dann.
KRAKEEL Na, machense zwanzig, könnse besser rechnen.
RABATZ Zwannigzich. – Punkt vier: Telefonzellen. vier-a – Hörer abfetzen?
KRAKEEL Machen wir!
RABATZ Vier-b – Telefonbuch zerreißen?
KRAKEEL Hähä, jetzt wollen Sie mich verarschen, Herr Wachtmeister, gell? Da bezahle ich das, und dann habense wieder vergessen, eins reinzulegen. Nönö, nicht mit mir.
RABATZ Gut gut, wie Sie wollen. – Punkt fünf: Flaschen zerschmeißen,
Scheiben einschlagen, Feuermelder etc.
KRAKEEL Da nehme ich das übliche.
RABATZ Sechstens. In Briefschlitze urinieren?
KRAKEEL Oh ja! Da schreibense ruhig mal sieben, acht, zehn, zwölf Schlitze... oder gleich vierzehn — nee, fuffzehn. Klar! Dreißig Halbe — fuffzehn Schlitze.
RABATZ Fünnefzehn. Ich frage mich bloß, wie Sie das bis zur Polizeistunde alles schaffen wollen.
KRAKEEL Alles? Wieso? Ich bin doch noch gar nicht fertig! Zum Beispiel wollen wir unbedingt noch die alten Damen belästigen!
RABATZ Oha, Punkt neun: Altvorderen zu nahe treten unter besonderer Vernachlässigung der guten Erziehung und der Integrität weiblicher Personen im Pflegealter. – Wieviele?
KRAKEEL Na, so fünfe, sechse. Was halt damenmäßig vorbeikommt.
RABATZ Sechs.
KRAKEEL Apropos sex, Herr Wachtmeister, beinahe hätte ich’s vergessen, wir haben da noch ein kleines Problem: Unser dicker Gerti nämlich, müssen Sie wissen, der ist sozusagen ein Exhi, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und da soll ich fragen, ob das exhimäßig extra kostet oder ob das im Belästigen mit drin ist.
RABATZ Hm. Das können wir nur nach den Damen aufschlüsseln, die sich am Ende tatsächlich belästigt fühlen.
KRAKEEL Müssen wir uns das von den Damen bestätigen lassen?
RABATZ Nein nein, nicht nötig. Sie sollten aber aufpassen, dass das Gequieke und Gejuchze nicht zu laut wird, weil Sie ansonsten für die Ruhestörung nachberappen müssten.
KRAKEEL Da knebeln wir besser ...
RABATZ Das können Sie halten wie Sie wollen. – Punkt zehn: Straßenpflaster aufreißen?
KRAKEEL Ach nee, Herr Wachtmeister, das streichense mal. Wissense, mit dreißig Halben in der Waffel, da will man doch eher gemütlich randalieren, es soll ja nicht in Arbeit ausarten.
RABATZ Letzter Punkt: Transparente runterreißen, Embleme rausschneiden, Parolen grölen, Sprüche sprühen...?
KRAKEEL Ach hörnse auf, Herr Wachtmeister, Sie kennen uns doch, so was machen wir doch nicht! Keine Gewalt, sag ich immer. Was wir wollen, ist eine ganz normale und vernünftige kriminelle Ausschreitung. Nix Politisches und so. Wir sind ordentliche Bürger und wissen, was sich gehört. Das andere sind Rowdys in meinen Augen, die so was machen.
RABATZ Gut gut, Herr äääh, wenn Sie dann hier noch unterschreiben würden.
KRAKEEL Welchen haben wir heute?
RABATZ Den sechsten Oktober. – Übrigens, heben Sie sich die Quittung gut auf, nicht dass Ihnen am Ende die Streife in die Quere kommt oder unsere Sicherheitspartner, Herr äääh ...

Rudi Krakeel nahm den von Wachtmeister Rabatz gegengezeichneten Krawallvordruck, marschierte zur Kasse, entrichtete seinen Obolus und empfing eine sauber abgestempelte Quittung. Er hatte sich unbürokratisch und ohne längere Wartezeiten einen netten Abend gekauft.

Beckert/Wolff 1988; veröff. auf Podeststücke (2006)

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