Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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DER BERGHOF ZUM HANGHUHN
Die Endplatziertenparabel oder EINE BERGKAMMEROPER

gewidmet Peter-Hugo Scholz (†)

Der Berghof zum Hanghuhn steht überm Abgrund eines riesigen Müllberges.
Vier Zimmer. Eines pro Himmelsrichtung.
In jedem Zimmer ein berühmter in Ehren gealterter Bergsteiger – ein sogenannter grauer Star.
Edelvollpension mit Highendversorgung und Gourmetküche.
In Reichweite Bratengrabel, Schnabeltasse, Schieber.
Die Stars werden während des gesamten Stückes von unterernährten aufrecht gehenden Hasen bedient.
(Dies ist das surrealistische Element des Stückes.)
Die vier Kraxelveteranen haben sich vorgenommen,
irgendwann den Gipfelsturm und damit den finalen Marsch in den Mythos zu wagen.
Über ihnen der ozonfreie Himmel.
Unter ihnen die Mühen der Ebene
Gut zu sehen durchs Fernglas, wie sie da krauchen und kriechen im Kreise,
Hügelchen auftürmen und wieder wegharken und wieder auftürmen und wieder wegharken ...

Erster Bergsteiger:
Der Schauspieler zieht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter,
und hat keine Zähne geputzt, weil er keine Zähne mehr hat.

Als Kind hab ich immer gelernt, bitte zu sagen,
und leider sage ich immer noch bitte.
Wollt ihr nicht mal bitte eure dreimaldämlichen Klappen halten und zuhören!
Aber niemand hält seine dreimaldämliche Klappe, wenn man ihn bittet.
Schnauze! Das wär’s gewesen.
Ist mir aber nicht gegeben.
Wir waren immer höflich zu Hause und glaubten an das Gute im Menschen.
Und daran, dass man mit vernünftigen Argumännchen die Welt retten kann. Pustekuchen.
Eines Tages stellten sie mir ein Halteverbotsschild genau vor die Haustür.
Anhalten, Aussteigen, Eintreten, Austreten verboten.
Ich sage: Nehmt das doch mal bitte weg!
Aber mit „Bitte“ erreichen Sie in dieser Gesellschaft gar nichts.
Also hab ich das Schild eigenmächtig umgehackt.
Nun drohen mir drei Wochen Zuchthaus wegen groben Unfugs.
Und da soll man dann statt bitte auch noch danke sagen.
Oh oh oh – Was für eine Endplatzierung.

Kehrreim
Jetzt nehm ich mir den Strick
Und sieben Karabinerhaken
Will den Aufstieg auf den Gipfel wagen
Baden mich im höchsten Kick

Zweiter Bergsteiger:
Schläft im Stehen. Die Schlupflieder hängen über die Mundwinkel.
Seine Extremitäten zittern und zucken unkontrolliert um ihn herum.

In unserer Familie waren immer alle Künstler.
O mein Papa war eine wunderbare Clown ...
Und meine Großmutter konnte täuschend echt Ladenklingeln imitieren.
Ich hatte mir eine sensationelle Nummer erarbeitet.
Kniebundhosen bis zum Knöchel. Obenrum Gerüschtes.
So bot ich die weltweit einzige Miniaturjonglage dar.
Nano-Äquilibristik!!
Ich jonglierte mit sieben Spalttabletten gleichzeitig!
Jack Morpheus! Mal von mir gehört?
Nein? – Pustekuchen.
Vor jedem Auftritt war ich so aufgeregt, dass ich vier von den Tabletten schlucken musste.
So blieben immer nur drei zum Werfen.
Und das war derart langweilig, dass ich selber mitten im Auftritt einschlief.
Ich wurde noch nicht mal wach, wenn’s Gage gab.
Oh oh oh – Was für eine Endplatzierung.

Kehrreim
Jetzt nehm ich mir den Strick ...

Dritter Bergsteiger:
Hat Stroh im Kopf und riecht nach Stall und Viehfutter.

Kein Wunder, ich habe jahrelang Gnus gezüchtet.
Aber füttern Sie mal jeden Morgen, Mittag und Abend Gnus.
Vor Langeweile rostet Ihnen der Nabel.
Und weg können Sie nicht, weil die immer nur fressen.
Also wollte ich die Hälfte der Gnus gegen Wapitis tauschen
und dann durch geschickte Umzucht die pflegeleichtere Gnu-Wapiti-Kreuzung auf den Markt werfen.
Aber Pustekuchen!
Allein die Einfuhrgenehmigungen – Hürden über Hürden.
Als die Wapitis endlich kamen, waren die Gnus nicht mehr brünstig!
Da half nur künstliche Stimulierung – Kunst-Brunft!
Was hab’ ich nicht rumstimuliert!
Ein Volkskünstler hat mir ein Geweih gedrechselt.
Ich rein in die Koppel und Brrrrrh und Gnnnuuu ...
Keine Chance. Total tote Hoden.
Als dann unangemeldet der Tierschutz kam und meine Gnu-Wapiti-Kreuzung sehen wollte,
hab ich aus Verlegenheit einfach ein Gnu und ein Wapiti übereinander genagelt.
Eben gekreuzigt.
Das haben die natürlich gemerkt.
Ich kriegte eine Anzeige wegen unerlaubter Kreuzigung und hatte die Presse am Hals.
Die Gnus wurden kastriert.
Und am nächsten Tag waren plötzlich die Wapitis brünstig und liefen meinen Töchtern nach.
Ich sah sie nie wieder.
Erst wollte er noch mit Hanghühnern anfangen und da Schweine reinkreuzen.
Das sogenannte Sauhuhn, wenn Ihnen das was sagt – aber auch das wurde nichts.
Oh oh oh – Was für eine Endplatzierung.

Kehrreim
Jetzt nehm ich mir den Strick ...

Vierter Bergsteiger:
Graugemeißelter Gesichtsausdruck voller Leere.
Die weiße Joppe hängt schwarz an ihm herunter, aber sein Trübsinn ist ungebrochen

Auch ich war ein Forscher mit Doppel-Dipl. und Doktortitel und hatte mir eine Idee ausgedacht:
Im Wandputz diverser Behausungen müsste sich eigentlich mikroorganisch
die psychische Verfassung der Bewohner messen lassen.
Dass sich also der Wandputz einer Gefängniszelle anders anfühlt als der einer stinknormalen Wohnwabe.
Ich nahm Hunderte Putzproben, aber Pustekuchen – die Mikrostruktur war überall gleich.
Also schloss ich messerscharf, dass sich der Normalbürger, der jeden Morgen früh raus muss,
offenbar genauso eingesperrt fühlt wie der Knacki, der gar nicht raus darf.
Dafür bekam ich vom Sozialministerium die Rote Karte
und wurde einem zerstreuten Professor zum Schreibtischaufräumen zugeteilt.
Oh oh oh – Was für eine Endplatzierung!

Kehrreim
Jetzt nehm ich mir den Strick ...

Oben fühl’ ich mich wie neu geborn
Wie beim Herrgott zu Besuch
Greif voll Stolz zum Gipfelbuch
Jedoch der Kuli – eingefrorn

Hier bricht das Fragment ab. Pustekuchen.
Immerhin – wir sind an der richtigen Stelle gescheitert, nämlich ganz oben, auf dem Gipfel.
Fragmente waren bereits eine beliebte literarische Form der Romantik.
Daher sind sie auch in der Brachialromantik durchaus keine Seltenheit.

BeckertWolff Erstfassung 2/07/1987; aktuelle Fassung 22/08/2018; unveröff.

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